Die Stadtironiker

In einer Kampagne raten Prominente zur Wahlabstinenz. Meinen es aber nicht ganz ernst

„Geh nicht hin zur Wahl, ist alles Kappes“ sagt Schauspieler Claude-Oliver Rudolph. Und auch „Tagesschau“-Sprecher Jan Hofer bekennt: „Sie werden mir das ja vielleicht nicht glauben, aber ich gehe nicht wählen.“ Dieses Antiwahlvideo steht seit vorletzter Woche online – mit Erfolg, bisher wurde es auf der Plattform YouTube 130.000-mal angeschaut und über 1.000-mal bewertet.

Deutsche Prominente wie Regisseur Detlev Buck, Moderatorin Sarah Kuttner und Rapper Massiv animieren dazu, bei der Bundestagswahl am 27. September das Kreuzchenmalen zu lassen: „Bringt ja eh nichts.“ Die Provokation funktioniert, der Menge an Kommentaren in Foren nach zu urteilen. Doch: Wer steckt dahinter?

Seit Montag weiß man es. Die Produktionsfirma Probono und die Informationsplattform politik-digital.de. Anlass für diese Aktion ist die sinkende Wahlbeteiligung. Man soll sich Gedanken machen, wenn MTV-Moderator Patrice dem Fernsehgourmet Ralf Zacherl vorwirft, zu feige zum Nichtwählen zu sein: „Du denkst, dann wollen sie nicht mehr mit mir kochen, wenn ich irgendwo so ’ne Antihaltung habe“. Doch die Ironie wurde Anfang der Woche nicht ganz verstanden: Was, wenn Menschen die Sprüche einfach glauben? Ist eine doppeldeutige Aussage zu innovativ für die junge Zielgruppe? Was viele nicht wussten: Das Video auf YouTube war bloß der Anfang. Am Dienstag wurde die Fortsetzung in der Berliner Bar „Freischwimmer“ vorgestellt – diesmal mit Auflösung. Im zweiten Teil wurde der Fernsehdreh vor der Kamera inszeniert; das Konzept von den vermeintlichen Nichtwählern infrage gestellt und letztlich umgedreht: „Geh hin!“ Die Ironie wurde also aufgedeckt.

Kritik gab es trotzdem, was einem solchen Konzept nicht unbedingt schadet, es geht ja schließlich um die Diskussion. Das Video sei eine schlechte Kopie des Originals, hieß es mehrfach im Internet. Die „Don’t Vote“-Kampagne wurde mit Prominenten wie Leonardo DiCaprio, Will Smith und Cameron Diaz vor der letzten US-Wahl geschaltet. Für die deutschen Macher ist dieser Vorwurf keine Schande; ein gutes Konzept sei es wert, kopiert zu werden, sagte Initiator Friedrich Küppersbusch in Berlin. Es gehe darum, bewusst Entscheidungen zu treffen. Das Video besticht durch offene Selbstironie, so geht Model Franziska Knuppe lieber shoppen als wählen und Hiphopper Joe Rilla zitiert Thomas Jefferson. Das Spiel mit dem Image ist lustig und erzeugt Aufmerksamkeit, auch wenn manche Protagonisten für kleinere Zielgruppen stehen.

„Man muss ja nicht die Bekloppten wählen“, meint Schauspieler Ralf Richter und sicher ist: Die Aktion zeigt Kreativität und einen gewissen Hang zur Risikobereitschaft. KATIA MEADE