„Berlin-Seuche am Hacken“

In keiner anderen deutschen Metropole wohnen so viele Autoren wie in Berlin. Einer davon ist André Kubiczek. Die Helden seines neuen Romans versuchen, die Hauptstadt hinter sich zu lassen

INTERVIEW JAN BRANDT

taz: In Ihrem Roman „Die Guten und die Bösen“ geht es auch um einen Mann, der Berlin literarisch greifen will. Wie greift man Berlin?

André Kubiczek: Ich habe auch keinen Überblick, dafür ist die Stadt zu groß, sind die Viertel zu unterschiedlich. Es ist leicht, drei, vier Straßen, die in der Nähe meiner Wohnung liegen, in den Griff zu bekommen, das nehme ich als lautes Dorf wahr.

In ihrem Roman gibt es eine Menge Freaks, Politiker, schwarzarbeitende Privatdetektive, die Bücher oder Bomben basteln. Eine groteske und komische Pulp-Fiction.

Es ist eine Berlin-Satire. Das hat weniger mit der Stadt zu tun als mit der gesellschaftlichen Situation, wie ich sie im Jahr 2000 wahrgenommen habe.

Lässt sich Berlin nur so beschreiben?

Wenn man ein so vielschichtiges Personal, das verschiedenen Klassen und Altersstufen entstammt, eine Fülle von Charakteren, wie man sie konzentriert in Berlin antrifft, beschreiben will, ist es einfacher, einen satirischen Gesellschaftsroman zu schreiben als einen realistischen, weil man mit Verkürzungen arbeiten kann, mit drastischen, überspitzten Thesen.

Ihr erster Roman, „Junge Talente“, spielt im Ostberlin der Achtzigerjahre. Ein junger Mann, ein Außenseiter, zieht aus dem Harz in die Hauptstadt, um zwischen Punk und New Wave sein Glück zu suchen. Warum ist Berlin so anziehend?

Damals war es so, dass Berlin die einzige Stadt in der DDR war, in der es die größtmögliche Freiheit gab. Zum Teil ist das ja immer noch so. Viele junge Leute kommen hierher, um sich auszuprobieren, weil sie keinen Plan haben. Und wenn sie wissen, was sie machen wollen, gehen sie wieder weg, weil sie merken, dass sich das ernste Leben hier nicht realisieren lässt. Hinzu kommt, dass man das Provisorische ja psychisch und finanziell auch nur bis zu einem gewissen Alter aushält, irgendwann unterliegt man dann doch dem Zwang, Geld zu verdienen.

Auch Sie sind von der Provinz in die Hauptstadt gezogen. Zwar nur von Potsdam nach Berlin, aber wo liegt der Reiz?

Weil ich zunächst auch keinen Plan hatte und weil man mit so einer Haltung am längsten in Berlin durchkommt. Außerdem gibt es hier weniger soziale Kontrolle als in kleineren Städten, in denen man ständig den gleichen Leuten begegnet.

In Berlin gibt es hunderte von Schriftstellern. Warum?

Man kann es hier, ohne viel Geld zu haben, relativ gut aushalten. Die meisten Autoren können ja von dem, was sie machen, nicht leben. Berlin hat den Vorteil, dass man, wenn man sich schlecht fühlt, einfach auf die Straße gehen kann und dort sofort genug Leute trifft, denen es noch schlechter geht. Das ist wohl ein psychologischer Standortvorteil.

Bei so vielen Autoren an einem Ort – gibt es da keine Konkurrenz?

Kann ich nicht sagen. Ich kenne keine anderen Autoren.

Ist nicht jede Ecke schon etliche Male beschrieben worden?

Mag sein, aber entscheidend ist ja immer, wer seinen Blick auf welche Straßenecke wirft. Und natürlich, was man dabei sehen will. Berlin bietet ein riesiges Potenzial für Geschichten, allein schon was die unterschiedlichen sozialen Schichten betrifft. Man kann sich hier einfach nicht aus dem Weg gehen, selbst wenn man es möchte.

Sie arbeiten gerade an einem neuen Roman mit dem Arbeitstitel „Schauinsland“, benannt nach dem Berg bei Freiburg – offenbar kein Berlin-Roman.

Er fängt aber in Berlin an, und die Protagonisten – zwei Männer und eine postfeministische Frauencombo – sind Berliner, die durch die Republik reisen, auf Umwegen in den Schwarzwald, und mit ihrem typischen Berliner Blick den Rest des Landes betrachten.

Berliner Blick, das klingt arrogant.

Damit meine ich diese lasche und gleichzeitig sehr liberale Einstellung, die aus einer umfassenden Planlosigkeit resultiert, die wiederum gerne mit Freiheit verwechselt wird.

Schwingt da Sehnsucht mit, endlich mal raus aus Berlin zu kommen?

Auf jeden Fall, auch die Sehnsucht nach Urlaub, Natur und Ruhe. Meine Figuren versuchen, diese festgefahrene Vorläufigkeit gegen ein Ziel einzutauschen.

Aber vermutlich kommen sie damit nicht weit. Wer die Berlin-Seuche einmal an den Hacken hat, wird sie so schnell nicht wieder los.