Echter Steher

Die Garage als ultimative Heimstatt: Wild Billy Childish spielt auch auf seinem ca. 102. Album romantische Balladen, primitiven Rock ’n’ Roll und holprigen Rhythm & Blues

Mittlerweile trägt er einen Schnurrbart. Zwar eher Kunstwerk als Rotzbremse, aber doch ein Schnurrbart. Und er posiert wie ein französischer Bohemebauer mit Baskenmütze und grobschlächtigem Strickpullover. Wild Billy Childish ist zurück und tut, was er tun muss: Immer das Gleiche, aber auf irgendwie überraschende Art und Weise.

Seine angebliche Autobiografie „Junger Mann ohne Kleider“, die eher eine Lügengeschichte ist, beginnt mit den Zeilen: „Noch immer stehle ich, und noch immer lüge ich, bewundere mich und mache mir erbarmungslos Vorwürfe“. So verhält es sich auch auf „Medway Wheelers“, der neuesten Veröffentlichung von Wild Billy Childish & the Buff Medways, dem aktuellen in einer langen Liste von Outfits, die so lustige Namen trugen wie Thee Headcoats, Singing Lions, Natural Born Lovers, Milkshakes oder Pop Rivets: Diebstahl in großem Stil, Kunstraub auf niedrigstem Niveau, das ist „Medway Wheelers“, auch wenn Childish mit Fug und Recht behaupten kann, sich mittlerweile vornehmlich bei sich selbst zu bedienen.

So spielt er mal wieder romantische Balladen, primitiven Rock ’n’ Roll, holprigen Rhythm & Blues und ignoriert dabei konsequent alle aktuellen Produktionsstandards und sämtliche Errungenschaften moderner Aufnahmetechnik. Die Musik von Childish hört sich immer gleich an, nämlich als stünden ein paar Schulfreunde ungefähr 1967 zusammen in einer Garage. Die stilistische und vor allem soundtechnische Beschränkung steht in krassem Kontrast zur Fülle des Werks: In den einschlägigen Rocklexika sucht man ihn vergeblich, dabei pendeln die Schätzungen, wie viele Alben Childish bislang aufgenommen hat, doch momentan um die Zahl 100. Und weil er malt, wie er Musik macht, indem er jede Skizze zum Kunstwerk erklärt, hat er seinem Ouevre bereits– auch wieder grob geschätzte – 2.000 Bilder hinzugefügt neben mehr als 30 Gedichtbänden, einigen Romanen, Holzschnitten und Fotos.

Natürlich ist Childish, der vor 45 Jahren geboren wurde in Chatham, Kent, als William Charlie Hamper, auch ein Stehengebliebener, wie ihn seine Exfreundin, die Künstlerin Tracey Emin, nach dem Beziehungsende bezeichnete. Man kann aber auch sagen, er ist ein Standhafter, einer, der seinen Ideen treu geblieben ist. Der kindische Willi denkt den Punkrock noch als Selbstermächtigung der Dilettanten, sucht die Wahrheit im Schlichten. Ihm ist die Kraft von Kunst entschieden wichtiger als ihre Kunstfertigkeit und er entdeckt in der selbst auferlegten Beschränkung die unendlichen Möglichkeiten. In den frühen Achtzigerjahren nannte man das Trash und huldigte den Cramps als prominentesten Vertretern des Genres, heute ist Childish trotz eines Cramps-Comebacks der einzige ehrliche Überlebende. Ebenso bewundernswert wie irritierend ist nur, dass sich einer diesen naiven Blick, diese kindliche Freude am Dreck, diese Faszination für das simple Drei-Akkord-Schema hat bewahren können. Und das nicht nur gegen alle Gesetze der Vermarktbarkeit, sondern auch gegen den menschlichen Drang, sich weiterzuentwickeln, nach Höherem zu streben.

Es ist die rohe, von der Londoner Kunstakademie, die Childish zeitweise besuchte, unverdorbene Energie, die seine Musik dann doch immer wieder hörbar macht. „Die besten Künstler sind allesamt Amateure“, hat Childish einmal sein Credo formuliert, „nur die Profis sind nutzlos.“ Musik gegen das Muckertum, das braucht man manchmal wie eine Medizin, als Erholung von den immer perfekter manipulierten Pop-Zumutungen.

Und so ein Schnurrbart, der hat zwar weiter keinen Nutzen. Mitunter aber ist so ein walrossartiges Monstrum doch ganz nützlich: als künstlerisches Statement. Gegen den guten Geschmack, gegen den Mainstream, gegen industrielle Verwertbarkeit und Marktchancen, gegen Berechnung und Abgezocktheit, gegen alles und was auch immer. Vor allem aber: für die Differenz und die eine schöne Idee, die nicht untergehen darf. THOMAS WINKLER

Wild Billy Childish & the Buff Medways: „Medway Wheelers“ (Damaged Goods/Cargo)