Unter Schrotthändlern

FILMFESTIVAL Alle müssen sparen, alle wurschteln sich irgendwie durch: Viele Beiträge zum diesjährigen Filmfestival von Rotterdam beschreiben krisenhafte Situationen

Die Kinosäle waren nicht so voll wie sonst. Ob es am Kartenpreis von 11 Euro liegt?

VON ISABELLA REICHER

In Zeiten von Sparprogrammen bei Staat und Sponsoren gehen Kultureinrichtungen auf der Suche nach Geldern kreative Wege: Beim Internationalen Film Festival Rotterdam etwa wirbt man im Zeichen des Festival-Wappentiers um „Tigerfreunde“, um freiwillige Helfer und um direkte finanzielle Zuwendungen vom Bürger. Per Telefon-Fundraising wurden im Vorfeld schon rund 32.000 Euro lukriert, die Kinosäle waren allerdings in diesem Jahr weniger prall gefüllt, als man es von Rotterdam sonst gewohnt ist. Am Programmangebot, das auf anhaltend hohem Niveau wieder filmische Neu- und Wiederentdeckungen abseits von Industriekino und Arthouse-Mainstream bot, kann das nicht liegen. Es könnte aber mit dem auf elf Euro angehobenen Kartenpreis zu tun haben. Alle müssen eben sparen – und wie der Staat setzt auch der Bürger Prioritäten.

Von verwandten Erfahrungen erzählten nicht wenige Filme dieses 41. Festivaljahrgangs. Im Auto zu schlafen, weil man sich keine Wohnung (mehr) leisten kann: Das praktiziert die verzweifelte, aber überlebensschlaue Titelheldin von Cyril Menneguns bemerkenswertem Debüt „Louise Wimmer“ ebenso wie der störrische Pilzexperte in der stimmigen US-Beziehungs- und Milieustudie „Now, Forager – A Film about Love and Fungi“ von und mit Jason Cortlund und Julia Halperin. Auch der „Driver“ aus der lakonischen griechischen Gegenwartsskizze „L“ lebt in seinem Volvo – bis er diesen mit Vorsatz schrottreif fährt, um ein Biker zu werden. Das Spielfilmdebüt von Babis Makridis basiert auf einem Drehbuch von Efthimis Filippou, der wiederum bereits „Dogtooth“ und „Alpis“ geschrieben hat und damit wesentlich für jenes griechische Querdenker-Kino steht, welches seit einiger Zeit international Furore macht (die Regisseurin Athina Rachel Tsangari, die 2010 „Attenberg“ im Wettbewerb von Venedig präsentierte, wurde mit ihrem neuen Projekt am Rotterdamer Koproduktionsmarkt Cinemart ausgezeichnet). Wie die beiden genannten Filme oder „Attenberg“ nimmt auch „L“ in seinen kurzen Episoden, die um seltsame Botendienste, rivalisierende Mobilisten und zwei- wie vierbeinige Honigliebhaber kreisen, keinen direkten Bezug auf die Krise. Trotzdem kann man sich als ferne Reaktion darauf eigentlich kein besseres Bild vorstellen als das eines Mannes, der sich mit seinem Auto im Kreisverkehr einreiht und dann einem einsamen, anschwellenden Schrei freien Lauf lässt.

Die maulfaulen Helden des schön spröden polnischen Wettbewerbsbeitrags „Z daleka widok jest piekny / It looks pretty from a distance“ hingegen schlachten aus, was nicht mehr fahrtüchtig ist, und leben vom Verkauf des Schrotts. Und wenn ein Dorfbewohner seinen ärmlichen Besitz zu lange alleine lässt, fallen die Nachbarn des Nachts bei ihm ein und sorgen dafür, dass am Ende nichts mehr da ist als kahle Mauern und ein Häufchen Asche.

Eine labile Lebenssituation anderer Art beschreibt der Brasilianer Kleber Mendonça Filho: In seiner elliptischen Erzählung „O Som ao Redor / Neighbouring Sounds“ begegnet man einer Handvoll Figuren, die zunächst nicht mehr miteinander zu verbinden scheint, als die Tatsache, dass sie in der gleichen, mittelständischen Wohngegend in Recife wohnen. Eine Hausfrau leidet dort unter dem anhaltenden Gebell des Wachhunds am Nachbargrundstück. Ein Junggeselle, der nach Jahren in Europa ins Viertel zurückgekehrt ist und dort eine Wohnanlage für seinen Opa managt, lässt sich durch dieses Leben und eine neue Beziehung treiben. Eine private Sicherheitsfirma trägt den Bewohnern ihre Dienste an. Zwischendurch ereignen sich Dinge, die möglicherweise gar nicht real sind, die aber von einer latenten Irritation zeugen.

„O Som ao Redor“, der mit dem Preis der internationalen Filmkritik (Fipresci) ausgezeichnet wurde, stellt diese brüchige Atmosphäre nicht zuletzt über den Ton her. Gebell und Haushaltslärm, ein stetig wiederkehrendes Dröhnen und andere Sounds geben den Bildern einen eigenen Drall. Passenderweise endet dieser dichte, originelle Film auch nicht mit Worten, sondern mit einem ohrenbetäubenden Knall zu einer eingefrorenen Momentaufnahme.

Die Tiger Awards, die Hauptpreise des Festivals, wurden drei jungen Filmemacherinnen zuerkannt: Der Chinesin Huang Ji für ihr intensives Mädchendrama „Jidan he shitou / Egg and Stone“, der Chilenin Dominga Sotomayor für ihre behutsam ausgebreitete Trennungsstudie „De jueves a domingo / Thursday till Sunday“ und schließlich der Serbin Maja Miloš für ihr Zeitgeistdrama „Clip / Klip“.

Dieser Film begleitet ein Teenagermädchen, das sich gefährlich über ein pornografisiertes Frauenbild, über Sexyness und Willfährigkeit definiert. Die grobe, fahrige Ästhetik der Handycam, vor der Jasna Selbstdarstellung und Blowjobs performt, macht sich der Film aber leider ebenso zu eigen wie den Voyeursblick auf die Mädchenkörper. Der Realität zerrütteter Eltern-Kind-Beziehungen als Spätfolge der Zerfallskriege ist so nur bedingt beizukommen.