Kunst des Herrschens

Kultur-Lobbyisten wittern Missachtung, weil Schleswig-Holsteins künftiger Ministerpräsident Peter Harry Carstensen der Staatskanzlei das Kulturressort zuteilt. Bedenklich ist das aus anderen Gründen

von Benno Schirrmeister

In Kiel geht gerade das Abendland unter. Das ist zumindest die Ferndiagnose, die von den Berliner Kulturlobbyisten ob Peter Harry Carstensens Personalpolitik gestellt wurde. Genauer: Aufgrund seines Vorstoßes, der Staatskanzlei künftig auch das Kulturressort zuzuordnen. „Ein Hohn, wer da noch vom verfassungsrechtlichen Auftrag der Länder für die Kultur spricht“, kommentierte die Vorsitzende des einschlägigen Bundestagsausschusses Monika Griefahn (SPD) die Initiative des designierten schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten. Und „schlimmer geht’s nimmer“ urteilte der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann. Und witterte in der bundesweit einmaligen Geschäftsverteilung eine „tiefe Missachtung der Kultur“.Große Empörung also, gestützt von der ebenso irrwitzigen wie falschen Annahme, die ehrenamtliche Minderheitenbeauftragte Caroline Schwarz würde künftig auch anstelle eines Staatssekretärs die Geschäfte der Abteilung führen.

Ein merkwürdiger Aufschrei. Denn weder gab es bislang in Schleswig-Holstein ein eigenständiges Kulturressort, noch wäre es im übrigen Deutschland der Regelfall:Die eine Landesregierung bündelt es mit den Themen Bildung und Wissenschaft zusammen, andernorts findet sich die Kultur als Nachbarin der Wirtschafts-Abteilung. Einzige Ausnahme ist Hamburg – und auch dort war man nicht immer glücklich mit dieser Lösung: Noch im März 2003 forderten sämtliche Intendanten der Bühnen des Stadtstaats den Senatspräsidenten dazu Ole von Beust dazu auf, die damalige Spitze der Kulturbehörde zu entmachten und sich selbst des Themas anzunehmen.

Genau das tritt nun in Schleswig-Holstein ein: Die Staatskanzlei, traditionell bereits für Medien-Angelegenheiten zuständig, übernimmt die politische Aufsicht übers Kulturressort. Was inhaltlich nicht abwegig erscheint – weil ein Großteil von Kulturpolitik auch Medienpolitik ist. Ebensowenig bedeutet es zwangsläufig einen Ansehensverlust – weil, grob gesagt, in einer funktionierenden Landesregierung die Staatskanzlei das Sagen hat. Und ganz in diesem Sinne wies Carstensen auch die Vorwürfe zurück: „In Schleswig- Holstein wird Kultur künftig Chefsache“, sagte er.

Das ist zwar bedenklich, jedoch ebenso wenig ein Schlag gegen den Föderalismus, wie – so die offizielle Begründung – die Erfüllung einer Sparvorgabe: Mit sieben Ministerien bleibt das neue Kabinett ebenso vielköpfig, wie das alte. Eher lässt sich dahinter ein machtpolitisches Kalkül vermuten: Denn Kultur transportiert Inhalte und Emotionen. Welche, da hat derjenige ein entscheidendes Wörtchen mitzureden, der über die Fördertöpfe herrscht. Und Carstensen hat sich nicht nur diese Kompetenz zugeschustert. Er hat auch dem Ressort der SPD-Frau Erdsiek-Rave mit diesem Kunstgriff jede ideologische Spitze genommen: Die vormalige Superministerin für Wissenschaft, Forschung, Bildung und Kultur darf sich künftig nur noch um die Schulpolitik kümmern. Ausgenommen natürlich das Projekt Einheitsschule: Das ist auf Eis gelegt. Wissenschafts- und Forschungspolitik hingegen gestaltet künftig Wirtschaftsminister Dietrich Austermann – ein Christdemokrat.

Nein, Carstensen, gern unterschätzt, traut man nicht so ohne weiteres zu, dass er Antonio Gramsci gelesen hat. Sein erster Auftritt als Politik-Manager Schleswig-Holsteins scheint dennoch die praktische Anwendung einer der zentralen Thesen des Vordenkers eines modernen Marxismus: Dass Herrschaft erst dann stabil wird, wenn sie auch Zugriff auf die kulturellen Überzeugungen hat.