Freier Handel bedroht Existenzen

LIBERALISIERUNG Nachdem die Proteste von Kleinbauern und Straßenhändlerinnen nicht abbrechen wollten, hat die indische Regierung das geplante Freihandelsabkommen mit der EU vorläufig verschoben

GENF taz | Die Unterzeichnung eines Freihandelsabkommens zwischen Indien und der EU, ursprünglich wichtigster Tagesordnungspunkt beim heutigen 12. Gipfeltreffen zwischen der EU-Kommission und der Regierung in Neu-Delhi, wird verschoben. Hunderttausende indische StraßenhändlerInnen und KleinbäuerInnen hatten heftig dagegen protestiert, dass der Markt für Milchpulver, Geflügel und andere landwirtschaftliche Produkte vollständig für europäische Groß- und Einzelhandelskonzerne geöffnet wird. Damit erreichten sie, dass ihre Regierung die Liberalisierung zurücknahm, die sie im November im Vorgriff auf das Abkommen beschlossen hatte. Beim Gipfel wird nun vielleicht eine neue Frist für einen Abschluss vereinbart. Oder die Verhandlungen werden auf Eis gelegt.

Die EU besteht auf der völligen Marktöffnung für europäische Groß- und Einzelhandelskonzerne. Diese würde aber bis zu 5,7 Millionen der rund 37 Millionen indischen Kleinhändler in extreme Armut treiben, heißt es in einer Studie des katholischen Hilfswerks Misereror, der Heinrich Böll Stiftung sowie der indischen Nichtregierungsorganisation Third World Network. Sie warnen auch davor, alle indischen Zölle für europäische Milchpulver- und Geflügelimporte abzuschaffen. 90 Millionen InderInnen leben von der Milchwirtschaft.

In ihrem im Januar vorgelegten Strategiepapier „Handel, Wachstum und Entwicklung“ betont die EU-Kommission, dass sie von Schwellenländern nahezu die gleichen Zollerleichterungen erwartet, wie die EU diesen gewährt. „In Indien leben immer noch 40 Prozent der Bevölkerung in extremer Armut, und jeder Vierte ist chronisch unterernährt. Unter so ungleichen Partnern ist eine solche ‚Gleichbehandlung’ inakzeptabel“, kritisiert Misereor-Handelsexperte Armin Paasch.

Die EU-Kommission verweist dagegen auf eine von ihr durchgeführte Nachhaltigkeitsstudie, nach der das Abkommen die indische Bevölkerung nicht negativ belasten würde. Allerdings klammere diese die inoffiziellen Sektoren aus, die über 90 Prozent der indischen Wirtschaft ausmachen, kritisiert Christine Chemnitz von der Heinrich Böll Stiftung. Sie moniert zudem, dass die Verhandlungen von der EU-Kommission wie von der indischen Regierung „unter strikter Geheimhaltung“ vor Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft geführt wurden. A. ZUMACH