verhältnis berlin–stettin
: Ein Gefühl der Unsicherheit

In ganz Europa versuchen die Bewohner der Grenzregionen das Beste aus ihrer Situation zu machen. Die Dänen kaufen in Deutschland Alkohol, und die Deutschen decken sich in Holland mit Butter und Käse ein.

KOMMENTARVON KRZYSZTOF NIEWRZĘDA

In Stettin hört man Deutsch neuerdings sogar nicht nur in den Supermärkten, sondern auch in den Premierenkinos. Diese Kulturtouristen machen jedoch nicht die Mehrheit der deutschen Stettinbesucher aus. Das ist schade, weil die Hauptstadt Westpommerns und ihr Umland zu den interessantesten Regionen Polens gehören. Unter den Stettinern, die nach Berlin fahren, findet man die Kulturtouristen häufiger.

All diesen Kontakten zum Trotz muss man feststellen, dass es in der Zusammenarbeit zwischen Berlin und Stettin noch viel zu tun gibt. Noch immer gibt es eine Distanz der Stettiner Behörden gegenüber Berlin. Diese Distanz scheint das Ergebnis fehlender Konzepte für die Entwicklung der eigenen Stadt zu sein. Dabei sollte man sich gerade um diese Zusammenarbeit bemühen, weil es eine andere Alternative nicht gibt. Doch diese Distanz ist mit einer emotionalen Schwere verbunden, die Stettin über viele Jahrzehnte niedergedrückt hat. Grund dieser Last ist die Unsicherheit ihres Schicksals, die die Bewohner von Stettin lange Zeit begleitet hat.

Die sowjetischen Besatzungsbehörden konnten sich lange nicht entscheiden, wem Stettin gehören sollte. 1945 wechselte die Stadt zweimal die Zugehörigkeit. Über lange Zeit wurde Stettin als eine Stadt behandelt, aus der man möglichst viel demontieren und fortschaffen muss. Und es wurde viel fortgeschafft: Am Anfang Hafenanlagen und Maschinen für die Sowjetunion; später Ziegel für den Wiederaufbau von Warschau.

Stettin wurde wie eine gepachtete Stadt behandelt. Selbst die Jacobikirche und das Schloss der pommerschen Herzöge wurden dreißig Jahre lang nicht wieder aufgebaut. Bis zu den 80er-Jahren fühlte man sich in Stettin, als würde man auf gepackten Koffern sitzen. Bestärkt wurde das Gefühl der Unsicherheit durch die Propaganda, die mit der Angst vor dem deutschen Revanchismus spielte. In Warschau, Krakau oder Lublin nahm das niemand ernst, in Stettin dagegen ist das Echo dieser Propaganda noch heute zu hören.

Es ist also kein Wunder, dass die Unsicherheit tiefe Spuren hinterlassen hat und dass diese Spuren der Annäherung zwischen Stettin und Berlin hinderlich sind. Mit gemeinsamen Kräften können Deutsche und Polen diese Spuren entfernen. In Zukunft wird sich zeigen, ob Berlin und Stettin ein gewisses Ganzes werden. Möge dies nur nicht von Personen wie der Vorsitzenden des deutschen Vertriebenenverbandes, Erika Steinbach, oder Organisationen wie der Preußischen Treuhand gestört werden. Deren Handeln nämlich erneuert das Gefühl der Unsicherheit und schafft neues Misstrauen.

Aus dem Polnischen von Uwe Rada

Krzysztof Niewrzęda ist Schriftsteller und lebt in Stettin und Berlin