Gut gelaunter Dritter Weg

Der SPD-Abgeordnete Hans-Peter Bartels rechnet mit Ackermann & Co. ab – und liefert ein überraschend modernes sozialdemokratisches Programm

Sozialdemokraten sind Spezialisten für Dritte Wege. Zwischen Kommunismus und Kapitalismus, Revolution und Reaktion, zwischen Bewegung und Stillstand, Versorgungsstaat und Wolfsgesetz, zwischen Schröder und Lafontaine. Derzeit vor allem Letzteres. Hans-Peter Bartels ist Sozialdemokrat. Einer aus der halbwegs jungen Garde der Bundestagsabgeordneten, Mitherausgeber der drittwegigen „Berliner Republik“, und mit 43 Jahren noch jung genug, um schon mal darüber vorzudenken, wie Sozialdemokratie in der Nach-Schröder-Ära aussehen könnte.

In „Victory-Kapitalismus“ gelingt ihm das erstaunlich gut. Was vom Verlag als „überraschend moderne Kapitalismuskritik“ angepriesen wird, ist damit eindeutig unterverkauft. Bartels liefert weit mehr als eine Abrechnung mit Ackermann & Co., nämlich eine überraschend moderne sozialdemokratische Programmatik. Die sieht etwa so aus: Fortschritt („nur neue Technik schafft neue Spielräume für sozialen Fortschritt“) plus Patriotismus, Familie („Wer für sozialen Fortschritt kämpfen will, muss Kinder haben“) plus Luxussteuer. Und weil die Wirtschaft auch einer Politik, die beflissen vor der Macht des Kapitals buckelt, einen Fußtritt nach dem anderen versetzt, sollte diese das Rückgrat wieder gerade machen und das Primat der Politik wiederherstellen. „In Artikel 20 des Grundgesetzes heißt es erstaunlicherweise nicht: Alle Staatsgewalt geht vom Markte aus. Da steht, weil es ja offensichtlich nicht für jeden selbstverständlich ist: Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“

Die ebenso freche wie plausible Übersetzung dieses Primats der Politik in praktische Ökonomie ist Bartels’ Forderung nach mehr Staatsinterventionismus: Die „Globalsteuerung“ der Volkswirtschaft von Karl Schiller selig funktioniere in Zeiten der Globalisierung immer weniger. „Was hingegen funktionieren kann, ist das, was die freie Wirtschaft am meisten fürchtet und am aggressivsten bekämpft: der direkte Eingriff, die Staatsintervention. Das muss und kann ablaufen wie beim Einsatz von Militär: ein klares Ziel, schlüssige Planung, präzise kalkulierter Einsatz der Mittel, konsequente Durchführung.“ Da hat der Kapitalist wenigstens wieder einen Grund, die Sozis zu hassen.

Trotz seiner etwas martialischen Wortwahl bietet Bartels insgesamt eine gut gelaunte, sowohl wahlkampf- wie praxistaugliche Argumentation entlang des Dritten Wegs zwischen Attac und Agenda 2010. Nur für Globalisierung und Gewerkschaften fällt ihm noch nicht so recht etwas ein – aber man kann ja auch nicht alles auf einmal verlangen.

Den einzigen programmatischen Ausrutscher leistet sich Bartels bei der Demografie. Denn genau den gleichen Fortschrittsfeinden, mit denen er in seiner Kritik des Marktliberalismus abgerechnet hat, den verkniffenen Verzichtspredigern wie Konrad Adam (Die Welt) oder Bernd Ulrich (Die Zeit), geht der sonst so fröhliche Bundestagsabgeordnete aus Kiel hier auf den Leim. Gruselt sich vor aussterbenden Deutschen, und wünscht sich eine „dauerhafte, kostspielige, leidenschaftliche Politik zur Förderung von Eltern und Kindern“ – dabei passen Gebärprämie und Mutterkreuz zu gar keinem Dritten Weg.

Um tatsächlich einen gangbaren Dritten Weg zu bahnen, sei Hans-Peter Bartels allerdings auch eine Politik des Dritten Mediums empfohlen. Es mag ja verständlich sein, dass sich seine Lektüre in zwei Druckerzeugnissen erschöpft: der Berliner Republik (die gibt er mit heraus) und der Zeit. Beide Medien zusammen bringen es locker auf eine Zweidrittelmehrheit der Zitate im Victory-Kapitalismus. Aber sogar Kanzler Schröder leistet sich drei Leitmedien, nämlich Bild, BamS und Glotze“.DETLEF GÜRTLER

Hans-Peter Bartels: „Victory-Kapitalismus.Wie eine Ideologie uns entmündigt“, KiWi Paperback, Köln 2005, 230 Seiten, 8,90 Euro