Flaneur erforscht Kreuzberg: Die Geschichten des Herrn D.

LITERATUR Herr D. schreibt über seinen Kiez – nun sind die Episoden als Buch erschienen

Es gibt Leute, die muss keiner lieben, um sie dennoch zu mögen. Herr D. ist so einer. Sein vollständiger Name ist nicht bekannt und auch sonst geht die Person eher in der Großstadt unter. Klar ist nur: Dieser Herr D. wohnt in einem Mietshaus, liebt Frauen und bewegt sich gern auf dem Fahrrad durch Berlin. Klar ist auch, dass dieser Herr D. irgendwann einmal ein Neuberliner war. Neuberliner ist das Raupen- und Puppenstadium eines Menschen, der nicht in dieser Stadt geboren ist, den es aber hierher verschlug.

Unklar ist, ob es Herrn D. je gelungen ist, seinen Kokon abzustoßen. Herr D. ist eine Kunstfigur, die der Berliner Autor Hans Korfmann geschaffen hat. In fast zweihundert Episoden teilte die Figur der Welt bisher mit, wie sie in Berlin in Situationen gerät, die sie befremden. Mit charismatischer Selbstverständlichkeit stolpert Herr D. in diese Fremde hinein – denn wer das Alltägliche hinterfragt, und das macht dieser Flaneur, der kann sich über alles wundern.

Über die Geduld, die man haben muss, wenn ein Elektrogerät zur Reparatur muss, die Ausweglosigkeit, die man ertragen muss, wenn man mit dem Fahrrad auf Bürgersteigen von Polizisten erwischt wird, oder jene, wenn man am Pfandflaschenrücknahmeautomat steht – Korfmann lässt seine Figur durch die Berliner Straßen, vorwiegend die von Kreuzberg wandern, als wäre Herr D. ein Völkerkundler, der eine Welt erforscht, die auf dem zivilisierten Planeten bis dato unbekannt war.

Er ist ein Hans im Glück

Dabei ist Herr D. ein Hans im Glück. Sein Vater im Geiste, Hans Korfmann, ist auch so einer. Einst lebte der 1956 in Bochum Geborene auf Kreta und war dort Ziegenhirt, obwohl er eigentlich Schriftsteller werden wollte. Über Umwege landete er in Berlin, wo er sich auf dem Bau verdingte und den Leuten zuhörte. Bald machte er daraus eine Profession, schrieb Artikel für alle großen Zeitungen und gründete die Kreuzberger Chronik – ein Monatsheft, das den kleinen Geschichten der kleinen Leute im legendärsten Berliner Bezirk eine Plattform gibt.

Die Geschichten der kleinen Leute, die jahrelang in der Frankfurter Rundschau standen und jetzt als Buch herauskommen, haben indes auch Korfmanns eigene Sicht auf die Welt geformt. Die schöne Erkenntnis dabei: Am besten, man lacht über sich selbst. Waltraud Schwab

■ Lesung heute um 19 Uhr im Kreuzbergmuseum