Die Granaten brachten den Tod

SYRIEN Die Journalistin Marie Colvin, der Fotograf Rémi Ochlik und der Videoblogger Rami al-Sayyed kommen bei Beschuss von Homs ums Leben

„Es gibt zwei Übel: eine Militärintervention oder ein Bürgerkrieg“

BASMA KODMANI, NATIONALRAT

AUS BEIRUT SEIF AL-SHISHAKLI

„Heute habe ich ein kleines Baby sterben sehen. Absolut schrecklich. Wohngegenden stehen unter permanentem Beschuss von Granaten, Raketen und Panzern, unnachgiebig.“ Dies waren die letzten veröffentlichten, am Dienstag von der BBC gesendeten Worte Marie Colvins. Die 54-jährige, die seit über zwei Jahrzehnten für die britische Zeitung Sunday Times aus Kriegsgebieten berichtete, starb am Mittwoch, ebenso wie der erfahrene 28-jährige französische Fotojournalist Rémi Ochlik, als Granaten der syrischen Armee in ihr Versteck in einem Wohnhaus in Homs einschlugen.

Colvin war eine vielfach ausgezeichnete Kriegs- und Krisenberichterstatterin. Ihr Hauptaugenmerk lag auf Kriegsverbrechen gegen Frauen und Kinder. Sie bereiste die Konfliktherde von Jugoslawien über Tschetschenien bis nach Sri Lanka. Oft ließ sie sich in die unruhigen Regionen, wie auch jetzt in die syrische Oppositionshochburg Homs, einschmuggeln, um die Zensurbemühungen von Staaten und Kriegsparteien zu umgehen.

Im Jahr 2001 verlor sie ein Auge, als sie in Sri Lanka über die tamilischen Unabhängigkeitsbestrebungen berichtete. Später beschrieb sie, dass sie bereit gewesen sei, diesen Preis zu zahlen, da die Öffentlichkeit ein Recht habe, den „ersten Entwurf des Zeitgeschehens“ zu lesen, den nur frei agierende Journalisten erstellen könnten.

Da die syrische Regierung die letzten Journalistenvisa während der Reise der Beobachtermission der Arabischen Liga Anfang zu Jahresbeginn ausgab und an den syrisch-libanesischen und syrisch-türkischen Grenze keine Touristenvisa mehr erhältlich sind, versuchen einige westliche Journalisten, sich einschmuggeln zu lassen. Aus gut informierten Kreisen in Beirut heißt es, dass die Banden, die in der nordlibanesischen Stadt Tripoli agieren, bereits eine Warteliste für Journalisten hätten, die oder deren Redaktionen bereit seien, bis zu 5.000 US-Dollar für die einstündige Autofahrt in den Krieg zu bezahlen.

Bereits am Dienstag starb der syrische Bürgerjournalist und Videoblogger Rami al-Sayyed, als er im als befreit deklarierten Homser Stadtteil Bab Amro eine Familie zu einem improvisierten Krankenhaus fuhr und dabei von einer Granate der syrischen Armee getroffen wurde. Seit Wochen hatte er aus der belagerten Stadt berichtet und der Weltöffentlichkeit anhand von hunderten unter Lebensgefahr gefilmten Videos die Gräueltaten des Regimes offengelegt. Das letzte Video auf al-Sayyeds Kanal „syriapioneer“ auf YouTube zeigt seine Leiche. Sein Bruder hatte das Video hochgeladen. Zuvor hatte al-Sayyed in einem Video seinen Tod antizipiert.

Wie das Syrische Netzwerk für Menschenrechte am Mittwoch mitteilte, töteten Regimetruppen gezielt 27 junge Männer. In Iblin, Idita und Balschon hätten sie Jagd auf Zivilisten gemacht. „Sie haben sie gefangen und ohne zu zögern getötet. Sie haben nur junge Männer gesucht, und wer nicht fliehen konnte, wurde umgebracht,“ hieß es weiter. Nur einer habe überlebt. Videoaufnahmen zeigten die Leichen gefesselter junger Männer mit Schusswunden.

Angesichts der Eskalation der Gewalt schließt der oppositionelle Nationalrat eine Intervention nicht mehr aus. Führungsmitglied Basma Kodmani sagte in Paris: „Es gibt zwei Übel: Eine Militärintervention oder ein sich hinschleppender Bürgerkrieg.“(mit afp, rtr)