Der elegische Hummelbrunnen

Längst steht er im Reiseführer: „Was wäre Hamburg ohne John Neumeier?“, fragte ein Marco Polo-Büchlein schon Anfang des Jahrhunderts, und gab selbst die Antwort: „Einfach undenkbar.“ Das war weiß Gott nicht kritisch gemeint, aber es zeigt schon das Elend. Denn damit steht der 1973 als herausragender Tänzer seiner Generation und spannender Choreograf von Stuttgart gekommene John Peter Neumeier auf einer Stufe mit Fischmarkt, Michel und Hummelbrunnen.

Ihm scheint’s zu gefallen. Und es passt: Sein Arbeitsschwerpunkt liegt seit 20 Jahren auf seiner eigenen Musealisierung. So ist es in Hamburg noch immer möglich, Neumeiers 1975 bahnbrechende Choreografie zu Gustav Mahlers Dritter Sinfonie zu erleben. Und seine eigene Pressestelle bläst zur Feier seines 70. Geburtstags am heutigen Freitag den Superlativ in die Gegend, dass „er der dienstälteste Ballettdirektor der Welt“ ist. Das stimmt: Auch die große Zhao Ruheng hat vergangenes Jahr auf Beschluss der Parteiführung der Jugend Chinas den Platz an der Spitze des Staatsballetts überlassen. Und die anderen aus Neumeiers Alterskohorte mögen stets inspirierter, innovativer, bedeutender gewesen sein als er. Aber sie haben aufgehört, wie Jiří Kylián (Nederlandse Dans Theater), sind eingespart worden, wie Johann Kresnik (Berlin, dann Bonn) oder gestorben, wie Pina Bausch (Wuppertal).

Die Musealisierung, die heute fremd und wunderlich wirkt, gehört indes zum klassischen Ballett: Dort wo’s gepflegt wird, stehen die nichtssagend gewordenen Choreografien des 19. Jahrhunderts noch auf dem Spielplan, von Arthur Saint-Léon über Marius Petipa bis Alexander Gorski. Von da ist der einst in Milwaukee geborene Neumeier hergekommen, er liebt’s und diese Heimat hat er niemals aufgegeben: Seine Choreografien empfangen vom neuen Tanztheater entscheidende Impulse. Ihr Standpunkt aber bleibt jene spätfeudalistische Kunst. Und deren unabwendbares Schwinden verleiht ihnen diesen unnachahmlichen elegischen Drive. BES