Zelte und Bierdosen sind leer

GROSSBRITANNIEN Londoner Polizei räumt das berühmte, aber in Verruf geratene Occupy-Camp vor der St.-Pauls-Kathedrale – und überraschend auch die „Schule der Ideen“

„Wir sind hier, und ihr seid da, und das ist total toll“

OCCUPY-AKTIVIST BEGRÜSST BESUCHER

AUS LONDON JOHANNES HIMMELREICH

Das Camp vor der St.-Pauls-Kathedrale von St. Pauls ist nicht mehr. Um ein Uhr in der Nacht zum Dienstag begannen die Gerichtsvollzieher der City of London, der Verwaltung des Finanzdistrikts, die Occupy-Zelte abzureißen. Die Räumung verlief friedlich, während die Polizei die rund fünfzig Besetzer auf den Stufen vor dem Portal der Kathedrale festhielt. Nur wenige verschanzten sich hinter Holz-Paletten und auf einem Regal aus dem Küchenzelt. Es kam zu mehreren Festnahmen. Nach etwas mehr als vier Monaten ist der Vorplatz vor der Kathedrale nun leer. Es bleibt nur noch das Occupy-Camp am abgelegenen Finsbury Square.

Gleichzeitig wurde nach Angaben der Besetzer auch die „Schule der Ideen“ im Stadtteil Islington geräumt. Auf dieses Projekt hatte die Bewegung große Hoffnungen gesetzt. Die Schule sollte Workshops und Treffen beheimaten, von hier aus wollte die Bewegung versuchen, engeren Kontakt zur Bevölkerung Londons aufzubauen und breitere Unterstützung zu gewinnen.

Die Räumung der „Schule der Ideen“ kam völlig überraschend. Über Twitter verkündet Occupy London, die Räumung sei illegal, da es sich um eine legale Besetzung handele. Die Räumung vor St. Pauls wurde hingegen seit einer Gerichtsentscheidung vergangene Woche erwartet. Die kleine Zeltstadt vor der Kathedrale war zwar der Anker der Bewegung im Bewusstsein der Öffentlichkeit, aber die Bewegung konnte das immer weniger für sich nutzen. Zwar mag das Camp nach innen gute und wichtige Arbeit verrichtet haben – etwa mit der „Zelt-Universität“ oder indem es eine Heimat für die Obdachlosen der City war –, aber nach außen präsentierte sich das Lager schlecht.

Wer sich als Tourist nachmittags in der Sonne auf den Stufen der Kathedrale niederließ, konnte damit rechnen, dass er Dave erleben würde – Dave „der Schotte“, wie sich der hagere 28-Jährige nennt. Neben flammendem Aktionismus beeindruckte Dave mit seiner absurden Paranoia. Jedem Säugling würde demnächst ein Erkennungschip implantiert, gesponsert von Coca-Cola. Außerdem sei das Occupy-Camp von Spionen und Provokateuren unterwandert, und nur deswegen – und auch, weil die britischen Massen vom Privatfernsehen betäubt würden – falle die Weltrevolution auch in diesem Monat aus.

Kaum dass Dave das Wort ergriffen hatte, löste ihn ein Glatzkopf grölend ab, mit glasigem Blick und Bierdose in der Hand, offensichtlich nicht seine erste. „Wir sind hier, und ihr seid da, und das ist total toll“, lallte er gerne in verschiedenen Varianten den Besuchern zu. Mit dem Verlust des Camps hat sich die Occupy-Bewegung nun auch solcher Öffentlichkeitsarbeit entledigt.

„Eine Idee kann man nicht räumen“, sagen die Besetzer. Es ist aber unklar, ob diese Idee weiter wachsen kann. Dank Leuten wie Dave wird es das Camp am Finsbury Square nach außen mindestens so schwerhaben wie das an St. Pauls.