„Das Lächeln kommt wieder“

ENTFÜHRUNG Die 24 Besatzungsmitglieder der „Hansa Stavanger“ gehen in Kenia an Land. Nach vier Monaten in der Hand somalischer Piraten geht es ihnen überraschend gut

„Das Schiff war in einer Verfassung, wie man das erwartet, wenn Piraten es kontrollieren“

AUS NAIROBI MARC ENGELHARDT

Als die 24 Besatzungsmitglieder der „Hansa Stavanger“ am Samstag in Kenias Hafenstadt Mombasa anlegten, war ihnen die Erleichterung anzusehen. Zum ersten Mal seit der Entführung des Frachters am 4. April, rund 400 Seemeilen von Somalias Küste entfernt, spürten die Seeleute wieder festen Boden unter den Füßen.

Von der Reling aus winkten die mit Blaumännern und T-Shirts gekleideten Männer den wartenden Angehörigen freudig zu. „Ich bin ein glücklicher Kapitän von einem unglücklichen Schiff“, fasst der polnische Kapitän Krzysztof Kotiuk die Stimmung zusammen. „Nach vier Monaten sind wir sehr müde“, fügt er hinzu. An Details der „fürchterlichen Situation“ in den Händen der Piraten will er sich an diesem Freudentag nicht erinnern: „Vielleicht in ein paar Tagen oder Wochen.“

Allein die Enge war beklemmend: Die 24 Seeleute und ihre Entführer kampierten auf der Brücke des Containerfrachters. Es gab nur eine einzige Toilette, die ständig verstopft war. An Körperhygiene war nicht zu denken, zumal die Piraten neben Handys, Kreditkarten, Kleidung und Schuhen auch Zahnbürsten und Zahnpasta geklaut hatten

Dazu kam der massive psychische Druck. „Ununterbrochen waren schwere Maschinenpistolen auf unsere Köpfe gerichtet“, so Kotiuk. „Das war Psychoterror rund um die Uhr.“ Scheinhinrichtungen habe es gegeben, bei denen die Piraten knapp den Kopf der gefesselten Opfer verfehlten. In einer E-Mail hatte Kotiuk schon vor einem Monat gefleht: „Wir haben kein Wasser, kein Essen, keine Medikamente, wir können nicht mehr.“

Der Kommandant der deutschen Fregatte „Brandenburg“, Torsten Ites, dessen Schiff den Frachter seit der Freilassung am 3. August in den Hafen von Mombasa begleitet hat, spricht von einem fürchterlichen Zustand der „Stavanger“. „Das Schiff war in einer Verfassung, wie man das erwartet, wenn es Piraten in die Hände gerät, mit Saubermachen hat das nichts zu tun.“ Der Besatzung geht es laut Ites dafür überraschend gut: „Langsam kommt das Lächeln wieder.“ Am Sonntag erholten sich die Entführungsopfer am kilometerlangen Sandstrand, der sich nördlich der kenianischen Hafenstadt Mombasa erstreckt. Die Hamburger Reederei Leonhardt& Blumberg hat den Seeleuten psychologische und medizinische Betreuung sowie „besondere Sozialleistungen“ zugesichert. Das kann je nach Wahl etwa ein langer Urlaub sein oder zusätzliches Geld. Fünf der Seeleute stammen aus Deutschland, die anderen aus Polen, Russland, der Ukraine, Tuvalu und den Philippinen.

In Mombasa begannen zeitgleich Beamte des Bundeskriminalamts mit der Untersuchung des mit einer Containerwand abgeschirmten Schiffs, das als Tatort eingestuft wird. Dazu gehörten auch Fotos vom Zustand des Schiffs und die Vernehmung der Besatzungsmitglieder, wie ein Sprecher der Hamburger Staatsanwaltschaft am Sonntag sagte.

Wie lange die Spurensuche andauern wird, ist ungewiss. Eine neue Besatzung stand dennoch bereits in Mombasa bereit, um den Frachter nach Hamburg zu bringen. Eine erste Durchsuchung nach Bomben oder Sprengstoff an Bord verlief ergebnislos.

„Ununterbrochen waren schwere Maschinenpistolen auf uns gerichtet“

Die Debatte über die Handhabung der bislang dramatischsten Entführung eines deutschen Schiffs durch somalische Piraten ist unterdessen neu entbrannt. Im Mittelpunkt steht das Lösegeld von offenbar 2 Millionen Euro. Angeblich hätten Kampfschwimmer bereitgestanden, um das Schiff sofort nach dem Abwurf des Lösegelds aus der Luft mit Unterstützung von Hubschraubern zu entern. Doch die Piraten hätten das Schiff so schnell geräumt, dass der Einsatz angeblasen worden sei.

Das Auswärtige Amt wollte einen entsprechenden Bericht des Spiegels nicht kommentieren. Es wäre der zweite fehlgeschlagene Befreiungsversuch deutscher Einsatzkräfte. Eine Stürmung durch GSG9-Truppen war ebenfalls in letzter Minute abgesagt worden. Kapitän Kotiuk war später erleichtert: „Das hätte ein Blutbad gegeben.“

Derzeit wird ein geplanter Stützpunkt auch deutscher Marineeinheiten in Mombasa diskutiert, um bei einem Piratenangriff schneller reagieren zu können. Dazu passt die erneute Forderung von Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU), der Bundeswehr mehr Kompetenzen im Kampf gegen Piraten zuzubilligen. Kotiuks Nachfolger auf der „Stavanger“, Kapitän Bernd Jantzen, zeigte sich am Samstag skeptisch: „Mehr Kriegsschiffe sind nicht die Lösung.“

Vielleicht besiegen die Piraten sich ja auch selbst. Im somalischen Piratennest Haradhere an der Küste, wo die „Stavanger“ bis zum 3. August gelegen hatte, kämpfen seit Samstag schwer bewaffnete Clans gegeneinander. Es soll bereits 17 Tote und 30 Verletzte geben. „Wir haben Angst, dass das unser Geschäft beeinflusst“, so ein Pirat. „Wir alle gehören zu einem der beiden Clans.“