Wo alle Studenten Porsche fahren

Mit einer Mischung aus Altbackenheit und Chuzpe werben deutsche Hochschulen in Mexiko für Studierende. Was den Universitäten hierzulande fehlt, sind Ingenieure und Frauen. Was den interessierten Mexikanerinnen fehlt: Stipendien

aus MEXIKO SASCHA TEGTMEIER

Flor Kawan muss erst mal einen Kaffee trinken. Eine Stunde lang ist die Mexikanerin über die Bildungsmesse „Europosgrados“ in einer frostig-gekühlten Halle des World Trade Center von Mexico-Stadt gelaufen. An 60 Ständen vorbei, an denen Vertreter von Universitäten aus acht europäischen Ländern werben, vor allem aus Deutschland, Frankreich und den Niederlanden. Zeitgleich stellen in dem Kommerzzentrum verschiedene Autohersteller ihre neuesten Modelle vor.

Flor ist von dem Bildungsmarkt geschlaucht. Die Studentenanwerber konnten sie nicht für sich gewinnen. „Das war alles nur für Ingenieure“, sagt die 25-Jährige enttäuscht. Sie hat an der privaten Universität Tecnológico de Monterrey Jura studiert. Mit Materialwissenschaften, Müllmanagement und Chemie kann sie nicht viel anfangen.

Flor möchte gern nach Frankreich oder Deutschland, um neben dem Studienabschluss noch eine Fremdsprache zu lernen. Den Stapel an bunten Prospekten will sie zu Hause durchsehen. Obenauf liegt eine kleine Gummibärchen-Tüte. „Te vemos en Offenburg!“ steht darauf: „Wir sehen dich!“

Gerade die deutschen Hochschulen rühren die Werbetrommel mit technischen Studiengängen. Das liegt daran, dass in Deutschland immer weniger Abiturienten Lust haben, Ingenieurswissenschaften zu studieren – und schon gar keine Frauen. In Lateinamerika sind dagegen beinahe die Hälfte der Ingenieursstudentinnen weiblich. Die deutschen Unis haben bei den Ingenieurswissenschaften einen guten Ruf. „Mit dem Pfund können wir wuchern“, sagt einer der Studienplatzanbieter.

Die amerikanischen Hochschulen mit ihrem aggressiven Marketing sind Vorbild und zugleich Feinbild. „Die Amerikaner verkaufen zum Studium doch gleich noch einen Kühlschrank dazu“, sagt Bernhard Schipp von der TU Dresden. Die Deutschen dürften aber nicht die Entwicklung des internationalen Bildungsmarkts verschlafen. Denn die Hochqualifizierten würden sich doch schon seit einigen Jahren genau anschauen, wo in der Welt sie am besten einen Master studieren können. „Da müssen wir mitspielen“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler.

Deswegen hat sich der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) zur Aufgabe gemacht, den heimischen Hochschulen zur Präsenz in Lateinamerika zu verhelfen. Seit drei Jahren geleitet der DAAD die Unis nach Mexiko. Zur Messe in der mexikanischen Hauptstadt kamen in diesem Jahr 5.000 Besucher. Im Jahre 2004 studierte fast jeder Fünfte der mexikanischen Studenten ihren Master im Ausland. Mexiko ist ein verhältnismäßig wohlhabendes Land mit guter Schulbildung – jedenfalls für diejenigen, die es sich leisten können.

Die meisten Mexikaner gehen zwar immer noch in die USA. Doch seit dem Irakkrieg haben gerade die Deutschen an Beliebtheit gewonnen. Europäischer Favorit ist dennoch Frankreich – Paris klingt eben verführerischer als Paderborn. „Wir haben eine lange Tradition des kulturellen Austausches mit Mexiko“, begründet der französische Botschafter in Mexiko-Stadt, Richard Duqué, die Beliebtheit. Mehr als 3.000 Studentenvisa hätten sie im vergangenen Jahr für Mexikaner ausgestellt. Eine Zahl, die verdoppelt werden soll.

Und das, obwohl die Stipendien nicht so üppig sind. Inge Roeninger, Mexikanerin mit deutschen Vorfahren, möchte eines für einen Master in Deutschland. Sie ist bald mit ihrem Studium der Kommunikationswissenschaft an der renommierten Unam (Universidad Nacional Autónoma de México) fertig. „Mir ist Deutschland sympathisch“, sagt die 21-Jährige, „und danach habe ich viel bessere Chancen, in Mexiko einen Arbeitsplatz zu finden.“

Als sie am Stand des DAAD nach Stipendien fragt, bekommt sie die Broschüre „Estudiar en Alemania“ in die Hand gedrückt. Zuerst einmal nimmt sie an einer Tombola teil, bei der es eine Digitalkamera und eine Reise nach Deutschland zu gewinnen gibt. Gute Chancen auf ein Stipendium aber hat sie nicht. Denn der DAAD kooperiert in Mexiko mit der staatlichen Organisation Conacyt – die nur Geld an Studenten vergibt, die einen praktischen Nutzen ihres Studiums für Mexiko nachweisen können. Um diesen Nachweis muss sogar eine Studentin bangen, die Städteplanung studieren will.

Der DAAD verlangt Grundkenntnisse in Deutsch, bevor er einem Stipendium zustimmt – selbst wenn die Seminare an der deutschen Uni inzwischen häufig auf Englisch gehalten werden. Das sei wichtig für die soziale Integration, heißt es. Außerdem sind die meisten Masterstudiengänge ohnehin auf Deutsch. Joachim Born, Romanist an der Uni Jena, findet, das sollte so bleiben. Seine Kollegen würden sonst womöglich im Stile von Pidgeon-Englisch dozieren.

Die Deutschen haben den Ruf, sich auf Bildungsmessen farblos zu präsentieren. Das stimmt nur zum Teil. „All our students drive Porsche“, witzelt etwa der Stuttgarter Univertreter bei seiner Power-Point-Präsentation. Gern werden auch die Fußballweltmeisterschaft und die nice surroundings einer Stadt als Grund für den Studienstandort angeführt. Alberto Vital, im mexikanischen Außenministerium für akademischen Austausch zuständig, findet wichtig, dass Deutschland seine Kultur präsentiert. „Bei der Fußball-WM haben Sie nun die Chance, der Welt zu zeigen, was das Land wirklich zu bieten hat.“

Auf der Europosgrados-Messe gibt es unter den Deutschen zwei Sorten von Wissenschaftlern. Zum einen diejenigen, die sich beim Marketing lieber auf Formelsammlungen zurückziehen würden. Zum anderen Professoren, die selbst längere Zeit in England oder den USA waren. Sie erkennt man daran, dass sie, die Ärmel ihrer Karohemden hochgekrempelt, die Messebesucher freundlich ansprechen. Frank Beuster, der Programmmanager der TU Berlin, ist ein weltreisender Uniaussteller. Taiwan, Singapur und Dubai waren seine vorangegangenen Stopps. „Ich habe direkt Bewerbungen von Interessenten mitgenommen“, sagt Beuster stolz.

Mit dem Braindrain, dem egoistischen Abwerben von Talenten, soll das alles jedoch nichts zu tun haben. Das versichern die Aussteller auf der Messe unisono. „Die Deutschen sehen Bildung noch nicht so sehr als Ware“, sagt auch der Vizepräsident des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, Johann W. Gerlach. Die Unis seien sogar idealistisch motiviert, nach Lateinamerika zu kommen.

Das bedeutet zum Beispiel, dass sie nicht nur Studenten abwerben wollen, sondern einen Austausch von Wissenschaftlern mit lateinamerikanischen Universitäten pflegen. Manche seiner Unis sind daran jedoch gar nicht interessiert. „Für uns sind die mexikanischen Wissenschaftler völlig uninteressant. Es gibt niemanden, der sich auf unserem Niveau bewegt“, behauptet ein Chemiker.

Ein anderer Aussteller sagt unverblümt: „Aus den USA kriegen die deutschen Unis niemanden, deswegen gehen sie in ärmere Länder.“ Der Rektor der Universität von Tamaulipas im Norden Mexikos, hat jedoch keine Angst, dass die Bildungselite das Land für immer verlässt. „Die kommen zurück“, sagt er, „wir haben Tequila, schöne Mädchen und gutes Essen.“

Aída González ist ein Erfolgsbeispiel der Bildungsmessen. Vor zwei Jahren hat sie sich auf der Vorgängermesse EduAlemania nach einem Studienplatz umgeschaut. Heute spricht sie perfekt Deutsch, berät die Besucher an dem Stand der Universität Hohenheim und legt im Sommer ihren Master in Agrarwissenschaften ab.

Auch die TH Karlsruhe fühlt sich mit Mexiko verbunden. Nach der Messe gründen sie einen Ehemaligenclub. Ein mittlerweile mächtiger Mann in der mexikanischen Ölindustrie wird an diesem Abend ihr Vorsitzender. Er und die anderen Exstudenten sollen den hoffnungsvollen Nachwuchs nach Karlsruhe schicken. „Wir wollen die Besten von den Besten“, tönt der Rektor der TH Karlsruhe, Horst Hippler. Er rührt damit einen Ehemaligen zu Tränen, der in den 60er-Jahren nach Deutschland gekommen war – damals ganz ohne Bildungsmesse.