Von den Zwillingsstädten

DOKUMENTATION Kaum Schlaf, wenig Geld, dafür aber verwegene Kunst: Der Dokumentarfilm „No Wave – Underground ’80: Berlin New York“

Wenn er hört, Berlin sei arm dran, sagt Christoph Dreher nicht nein. Der Autor, Filmemacher, Musiker und Professor an der Stuttgarter Merz Akademie sagt aber auch nicht sofort ja. Das neue Berlin, der glasbetonierte Potsdamer Platz und die Monokultur in Prenzlauer Berg zum Beispiel, kommt ihm eher proper als bankrott vor.

Das alte Westberlin, das er Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre erlebte, hing ernstlich am Tropf. Jetzt ist Berlin der nördlichste Ausläufer des mediterranen Kulturkreises. Westberlin, erinnert sich Dreher, war eine graue Stadt, in der man sich selbst den atomaren Untergang eher als Resultat eines Versehens denn eines Krieges vorstellte. Dabei möchte Dreher die Frontstadt nicht als lethargisch beschreiben. Ganz im Gegenteil. In Nürnberg geboren, mit den Eltern nach Aachen gezogen, kam er nach Berlin zum Studieren. Nicht irgendwo, sondern am Otto-Suhr-Institut. Seine Entscheidung war eine bewusst politische.

Raue Metropolen

In Aachen von konservativen Lehrern aus der Schule geekelt, über Umwege Abitur gemacht, in eine Kommune gezogen, Anfang der Siebziger Ton Steine Scherben live gesehen, Punk im Kopf gehabt, bevor es ihn gab und 1976 in London dann erlebt – Dreher musste einfach nach Berlin. Wo er im Zuge eines Hochschulstreiks zwei Wochen in Moabiter U-Haft saß, nach Protesten freikam und zu Weihnachten von Heinrich Albertz eingeladen wurde. Wo er 1980 mit Martin Peter die Instrumentalband Die Haut gründete, bei denen Nick Cave, Blixa Bargeld, Jeffrey Lee Pierce, Anita Lane, Lydia Lunch, Kim Gordon und viele mehr als Gastsänger auftraten. Die Haut spielten in Ostberlin mit der Band Herbst in Peking. Und 1992 interpretierte Alexander Hacke bei ihnen Brechts „Zum Freitod des Flüchtlings W. B. (= Walter Benjamin)“.

Hacke ist auch einer der Protagonisten in „No Wave – Underground ’80: Berlin New York“, einem Dokumentarfilm, den Dreher mit seiner langjährigen Kollegin Ellen El Malki, er kennt sie aus der gemeinsamen Zeit an der Deutschen Film und Fernsehakademie Berlin, jetzt fertiggestellt hat. Was die beiden da gedreht und geschnitten haben, ist alles andere als eine Westberliner Nabelschau. Denn sie erzählen nicht einfach die an sich schon spannende Geschichte des Westberliner Undergrounds der frühen Achtziger. Der Film schildert die Städtepartnerschaft zwischen Berlin und New York. Beides zu ihrer Zeit raue, aber billige Metropolen. Beides Städte, die nicht so richtig zu ihrem eigenen Land passen wollten, wie sich Amos Poe, Lehrer und Mentor Jim Jarmuschs erinnert.

USA raus aus New York

Jarmusch selbst zitiert sein damaliges Lieblingsgraffiti: „USA raus aus New York“. Metapher für die kulturelle Differenz, aus der heraus eine wilde und kompromisslose Szene junger Künstler interdisziplinär mit Film, Musik, Malerei und Theater arbeitete. Unterhaltung und Zerstreuung waren nicht das Ziel, Wut und Zorn dafür das Pulver für explosiven Ausdruck. Die Gesellschaft hatte Glück, dass sie sich für Kreativität entschieden hatte, meint Lydia Lunch an einer Stelle. Ohne Kommunikation ein heilloses Unterfangen. Wolfgang Müller (Die Tödliche Doris) verweist darauf, wie Konstrukte wie Identität und Autonomie hinterfragt wurden. Nick Cave, lange Jahre Gast in Drehers Kreuzberger Loft, erinnert sich, dass er niemals hinterher einen dermaßen direkten und offenen künstlerischen Austausch erlebt habe. Ein Film für Nostalgiker ist das übrigens nicht. Es kann eher passieren, dass man selbt Brainstorming betreibt und nach Leerstand Ausschau hält. ROBERT MIESSNER

■ „No Wave – Underground ’80: Berlin New York“, Regie: Christoph Dreher und Ellen El Malki. D 2009, 52 Min. Donnerstag, 13. 8. um 22.30 Uhr auf Arte