Sozialdemokratische Kopfkämpfe

Eine 20-jährige Neu-Hamburgerin und Studentin tritt während ihres Praktikums bei der taz heimlich in die SPD ein. Der Redaktion beichtet sie das erst hinterher. Zur Strafe muss sie über ihr erstes Vierteljahr in der Partei berichten

Bei fast jeder Veranstaltung versucht ein anderer Genosse, mir „die Partei zu erklären“

Von Anja Humburg

In fünf Minuten bin ich in der Partei. Die Lücken auf dem Online-Formular sind schnell mit den persönlichen Daten gefüllt, die Höhe des Mitgliedsbeitrages ist gewählt und mit einem Klick trete ich ein – stopp.

So einfach soll das sein, meine langen Kopfkämpfe mit einem anonymen „OK“ zu besiegeln? Nein. An einem ungemütlichen Januartag gehe ich selbst zum Kurt-Schumacher-Haus, zum KuSchu, wie Hamburgs Sozialdemokraten ihre Parteizentrale am Besenbinderhof nennen. Die Tür ist verschlossen. Das gedankliche Hin und Her brodelt wieder auf. Ein paar Tage später fülle ich das Eintrittsblatt per Kuli aus. „Es wird nicht alles von Anfang an klappen, wie du es dir vorstellst“, gibt mir Bülent Ciftlik, der Referent des Landesvorsitzenden, mit auf den Weg. Ich würde mich sicher über das eine oder andere wundern, könne mich aber immer an ihn wenden, jetzt, da ich in der Partei bin und mit Bülent per Du.

Nach zwei Tagen lese ich meine erste E-Mail von der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands – ungefähr acht Millionen Infobulletins und Terminankündigungen sind seitdem auf mein Online-Postfach niedergeprasselt. „Filtern“ ist ein gut gemeinter Rat, für ein ahnungsloses Frischmitglied aber ist es kaum machbar, auf Anhieb Wichtiges von Polit-Spam zu unterscheiden. Es geht in den ersten Wochen also darum, mich zu orientieren. Das „Aktivmitgestalten“ muss warten, als 20-Jährige fehlt mir eh noch das politische Koordinatenkreuz im Kopf.

Auf dem Neumitgliederabend, gut einen Monat nach meinem Eintritt, begegne ich zum ersten Mal Gleichgesinnten. Der rotschalige Mathias Petersen, gerade im Wahlkampf für Heide Simonis, begrüßt die etwa 50 Neuen mit einem Rundumblick aus seiner Sicht als Hamburger Parteichef. Bei fast jeder Veranstaltung danach versucht ein anderer Genosse, mir „die Partei zu erklären“. Dann sitze ich mit großen Augen da und enttüdele anschließend das wachsende Erklärwirrwarr.

Enttäuscht werde ich auf meinem ersten Landesparteitag am 5. März in der Norddeutschen Affinerie. Vorne stapeln vor 350 delegierten GenossInnen der Vorsitzende Mathias oder Alt-Bürgermeister Voscherau, den ich jetzt mit Henning anreden dürfte, wenn ich mich das traute, Reden aufeinander. In diesem Jahr noch wollen sie 1.000 neue Mitglieder gewinnen mit ihrer Neumitglieder-Kampagne. Ich sitze auf der Zuschauertribüne am hinteren Ende der Halle und frage mich, wen sie meinen mögen. Mich etwa auch?

Glücklicherweise fängt mich Genosse Bülent nach ein paar Stunden auf und führt mich zu den Gesandten meines Distriktes. Der große Run auf die Partei ging hier, auf der Veddel, mit dem Start der Kampagne noch nicht einher. Anita und Alexander sind die beiden einzigen aktiven Jusos.

„Jusos go Tapas“ heißt eines ihrer Treffen in der neuen Bar auf der Elbinsel. Dass die erste Runde auf die Partei geht, lockt einige Zögerliche – darunter auch mich – aus dem sicheren Versteck. Die meisten sind Neugenossen. Und so ist es zumindest zunächst wieder ein Kennenlern- und „Ich-erklär-dir-die-Partei“-Abend.

Mir wird meine SPD langsam sympathisch. In dem kleinen Kreis habe ich das Gefühl, nicht übersehen zu werden und mich einmischen zu können. Uns fallen schnell einige Dinge ein, die die Veddel dringend braucht – nicht erst jetzt, wo so viele Studenten herziehen. Dieser Abend schmeckt irgendwie nach Politik.

Das „Sicharrangieren“, wie der Berliner Juso Nicol Ljubic in seinem Buch „Genosse Nachwuchs“ die Politikverdrossenheit nennt, rückt für mich ein Stück in die Vergangenheit. Es fühle sich an, als habe er ein skurriles Hobby, wie „Kotztüten oder Kuckucksuhren sammeln“, schreibt Ljubic. Die Demokratie sei gescheitert, „wenn sich Menschen, die in eine Partei eintreten, rechtfertigen müssen“. Man sollte lieber andersherum fragen: „Warum bist du nicht eingetreten?“ Vielleicht weil Politiker nicht einfach mal sagen: „Ich weiß auch nicht, ob das richtig ist, ich glaube es aber.“ Mit Ehrlichkeit gewinne man Vertrauen, auch wenn das naiv klinge.

Hier in der Juso-Runde ist das parteiübliche Du kein Problem, meine Freunde sieze ich ja auch nicht.

Bloß Genossin muss ich jetzt noch werden.

Nicol Ljubic: „Genosse Nachwuchs“, Deutsche Verlags-Anstalt, München, 208 Seiten, 17,90 Euro, ISBN: 3-421-05826-1