Die Macht gegen die anderen

DER FÜRST Der Historiker Volker Reinhardt legt eine neue Biografie Niccolò Machiavellis vor und zeigt einen Theoretiker der Macht zwischen Zynismus und Idealismus

Volker Reinhardt zeigt, dass Machiavelli keineswegs zu einer zynischen Kunst der Macht rät

VON FELIX EKARDT

Wie erlangt man politische Macht und behält sie anschließend? Diese strategische Grundfrage beschäftigt Politik und Medien nicht selten stärker als die eigentlichen Politikinhalte und gesellschaftlichen Probleme. Ein neues Buch des Schweizer Historikers Volker Reinhardt, Spezialist für Reformation und Renaissancezeit, widmet sich nun ebenfalls der Kunst der Macht, und zwar in historischer Perspektive. Reinhardt hat mit „Machiavelli oder die Kunst der Macht“ eine Biografie des frühneuzeitlichen Denkers vorgelegt, der sich diesen Fragen intensiv widmete.

Reinhardt beschreibt Machiavellis Kindheit und Jugend im Florenz der Renaissance, den Aufstieg zum Politiker und Diplomaten sowie sein späteres Leben als Literat und von den Mächtigen verfolgter Provokateur. Das Ergebnis ist ein für viele sicher ungewohntes Bild von Machiavelli als einem Machttheoretiker, der in seinem eigenen Leben auf Macht und Täuschung gerade verzichtete. Machiavellis eigentlich eher kritisch gemeinte Einsichten zum menschlichen Machtstreben, die bis heute Eingang in Erfolgsratgeber finden, werden dabei natürlich auch ausführlich dargestellt.

Machiavellis Vorstellungen, wie speziell Politiker Macht erlangen und verteidigen können, klingen auch heute noch so provokant, wie sie seit 500 Jahren die Gemüter erhitzen: Moral, Recht und Religion sollen Politiker als bloße Fassade einsetzen, um ihre Gegner in falscher Sicherheit zu wiegen. Keinesfalls dürften sie selbst daran glauben. Modern gesprochen: Erfolg habe man im Leben und in der Politik immer dann, wenn man strikt im Eigeninteresse handle, Kontrahenten gut analysiere, sich mit Personen und Verbänden durch Leistung und Gegenleistung verbinde – und bei alldem trotzdem ausgiebig so tue, als handle man im Allgemeininteresse.

Volker Reinhardt zeigt, dass Machiavelli keineswegs zu einer zynischen Kunst der Macht rät, sondern einfach nur realistisch und zugleich bedauernd einschätzt, dass bestimmte Tricks im Leben meist Erfolg haben. Im Grunde ist er dennoch ein idealistischer Verfechter von Demokratie und bürgerlicher Tugendhaftigkeit, die gerade auf bloße Machttaktik verzichtet. In Fachkreisen ist das keine neue Erkenntnis, einer breiteren Öffentlichkeit dürfte dies dagegen unbekannt sein. Nicht umsonst ist ein „Machiavellist“ in der Umgangssprache bis heute jemand, der rücksichtslos seine Interessen durchsetzt.

Interessant wäre gewesen, hätte Reinhardt sich zu Machiavellis Provokationen stärker positioniert. Zeigen nicht moderne Phänomene wie Politikverdrossenheit oder Protestparteien, dass als rein machttaktisch empfundene Politiker den eigenen politischen Gestaltungsanspruch ruinieren? Die nächste Frage wäre: Kann man Machiavellis Alternative zur bloßen Machttaktik, nämlich im Heimatland eine gute und egalitäre Demokratie zu errichten und dafür die Rücksichtslosigkeit komplett in die Außenpolitik zu verlagern, ernstlich mit Reinhardt als „idealistisch“ beschreiben? Ist nicht genau dies heute in der Klima-, Ressourcen- und Welthandelspolitik äußerst verbreitet und eines der Haupthindernisse auf dem Weg zu einer zukunftsfähigen Welt?

Auch dass Menschen sehr viel differenziertere Handlungsantriebe haben als machiavellistischen Egoismus allein, hätte Reinhardt kurz schildern können. Ungeachtet dessen hat der Historiker ein anregendes und gut lesbares Werk vorgelegt, das uns in eine Zeit führt, die uns noch heute stark prägt, auch wenn es manchem immer weniger bewusst ist.

Volker Reinhardt: „Machiavelli oder Die Kunst der Macht“. C. H. Beck, München 2012, 400 Seiten, 24,95 Euro