Der Deutsche und der „Genozid“

Aidsmedikamente sind Völkermord, findet der deutsche Arzt Matthias Rath in Südafrika. Nun steht er wegen Diffamierung einer Selbsthilfegruppe von Aidskranken vor Gericht

JOHANNESBURG taz ■ Der deutsche Arzt Matthias Rath schreckt nicht davor zurück, Südafrikas Aidskranken-Lobbygruppe „Treatment Action Campaign (TAC)“ als verlängerten Arm der Pharmaindustrie zu bezeichnen. Der Grund: TAC setzt Südafrikas Regierung unter Druck, damit sie kostenlose Aidsmedikamente an die etwa 500.000 Aidskranken des Landes verteilt. Der umstrittene Mediziner Rath hingegen behauptet, die tödliche Immunschwäche könne mit der Einnahme von Vitaminen bekämpft werden. Die Matthias-Rath-Stiftung verkauft in Südafrika Vitamincocktails und wirbt dafür mit Seiten füllenden Zeitungsanzeigen. Darin werden Aidsmedikamente wegen ihrer Nebenwirkungen als Form von Genozid verurteilt. Die TAC-Aktivisten haben Rath daher wegen Diffamierung und Irreführung der Öffentlichkeit verklagt. Gestern begann in Kapstadt der Prozess.

Der 50-jährige Arzt aus Stuttgart, sagt TAC, hat nicht zugelassene Praxen in südafrikanischen Townships eröffnet und „experimentiere“ mit Multivitamin-Präparaten, die angeblich das Immunsystem nachhaltig mit der Perspektive auf Heilung stärken. „TAC ist ein Wolf im Schafspelz“, sagt Rath, denn Aidsmedikamente seien giftig. „Als Teil seiner Kampagne versucht seine Stiftung, Medizin in Verruf zu bringen, die vom Medizinischen Kontrollrat zugelassenen worden ist“, entgegnet TAC-Vorsitzender Zackie Achmat.

Achmat befürchtet, Raths Behauptungen führten zu Zweifeln bei den Kranken, ob sie Medikamente nehmen sollen – jahrelange Gerichtsverfahren, die TAC schließlich gewann, waren nötig, damit Südafrikas Regierung überhaupt die Verabreichung der Medikamente an Aidskranke erlaubt. Raths Arbeit „untergräbt die Arbeit vieler Aktivisten im Kampf gegen HIV/Aids,“ so Zackie Achmat; im Ergebnis bedeutet das den Tod der Patienten. In Südafrika tragen 5,3 Millionen Menschen den HI-Virus.

Rath, der nach eigenen Angaben am Universitätskrankenhaus in Hamburg sowie im Berliner Herz-Zentrum arbeitete, bezieht sich vor Gericht auf öffentliches Interesse, Wahrheit und Meinungsfreiheit. Doch das Gericht wies in der ersten Anhörung Raths angebliche Beweise auf Giftigkeit der Aidsmedikamente ab mit dem Argument, es gehe um Rufschädigung von TAC. Der Prozess musste unterbrochen werden, als hunderte TAC-Anhänger mit Vertretern des Verbandes traditioneller Heiler, der Rath unterstützt, zusammenstießen.

Bereits in anderen Ländern sind Raths Aktivitäten per Gerichtsurteil beendet worden. Ein niederländisches Gericht urteilte 2000 gegen ihn, als ein Pharmakonzern den Arzt wegen seiner „Schmierkampagnen“ beschuldigte. In Deutschland hatte Rath wegen Krebsmitteln aus Naturstoffen Kritik erhalten, und UN-Organisationen erklärten seine Anzeigen für gefährlich und nicht hilfreich.

Inzwischen hat auch Südafrikas Medizinischer Kontrollrat eine Untersuchung zu Raths Methoden in Townships um Kapstadt begonnen. Südafrikas Regierung hatte zunächst wenig Bedenken gegen den deutschen Arzt. Schließlich propagierte Gesundheitsministerin Manto Tshabalala-Msimang noch letzte Woche öffentlich den Verzehr von Roter Beete, Olivenöl und Knoblauch als bestes Mittel gegen Aids und warnt immer wieder vor Nebenwirkungen der Aidsmedikamente.

Die Aidsaktivistengruppe TAC stimmt zu, dass Vitamine bei der Ernährung für HIV/AIDS-Kranke wichtig sind. Aber die lebensverlängernden Aidsmedikamente kann das nicht ersetzen. Die Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ (MSF) betonte gestern, durch die Vergabe von antiretroviralen Aidsmedikamenten seien seit 1999 allein im Township Khayelitsha bei Kapstadt 2.000 Kinder von einer Aidsinfektion und dem sicheren Tod bewahrt worden. Die Organisation berichtet von guten Ergebnissen bei einer Kombination von Aidsmedikamenten mit der Bekämpfung von Infektionskrankheiten und besserer Ernährung. Statt einer ohne Behandlung zu erwartenden Todesrate von 50 Prozent innerhalb eines Jahres bei den Aidskranken der MSF-Kliniken in Khayelitsha seien nach drei Jahren Therapie noch 80 Prozent der Behandelten am Leben; nur vier Todesfälle seien auf Nebenwirkungen der Medikamente zurückzuführen.

MARTINA SCHWIKOWSKI