Bayer verliert in Indien

MEDIZIN Das Land zwingt den Konzern, ein Patentrezept für ein Krebsmedikament preiszugeben, damit sich Arme eine Behandlung leisten können. Bayer kämpft dagegen – das Beispiel könnte Schule machen

Patente sind kein Freifahrtsschein für überhöhte Preise

PHILIPP FRISCH, ÄRZTE OHNE GRENZEN

BERLIN taz | Ein Urteil in Indien sorgt innerhalb der Pharmaindustrie für Aufruhr. Das indische Patentamt hat am Dienstag eine Zwangslizenz für ein Generikum des Krebsmittels Nexavar erteilt, das der deutsche Pharmariese Bayer patentiert hat. Künftig wird der indische Hersteller Natco Pharma das Produkt zu einem erschwinglicheren Preis anbieten. Bayer erhält als Entschädigung eine Lizenzgebühr von 0,6 Prozent des Umsatzes.

Natco hat sich verpflichtet, das Nachahmerpräparat für nicht mehr als 187 Dollar monatlich auf dem indischen Markt zu verkaufen. Derzeit kostet das Original von Bayer gegen Leber- und Nierenkrebs etwa 5.500 Dollar. Jährlich macht der Leverkusener Pharmakonzern mit Nexavar einen Umsatz von etwa 725 Millionen Dollar weltweit. Damit gilt das viertwichtigste Medikament des Unternehmens als Kassenschlager.

Etwa 70 Prozent der weltweit eingesetzten Generika stammen aus Indien. Allein 80 Prozent der Nachahmerpräparate zur Behandlung von HIV und Aids werden dort hergestellt. Auf Grundlage des Urteils könnten nun auch neuere Aids- und HIV-Medikamente für ärmere Patienten erschwinglich werden. Indien gilt als eines der Länder mit der am stärksten wachsenden Aidsrate. Sechs Millionen Infizierte und Erkrankte können sich aufgrund fehlender Medikamente nicht richtig behandeln lassen.

„Diese Entscheidung hat gezeigt, dass Patentmonopole kein Freifahrtsschein für überhöhte Preise sind“, sagt Philipp Frisch von „Ärzte ohne Grenzen“. Bayer habe nicht nur versäumt, das Medikament zu einen angemessenen Preis, sondern auch in ausreichender Menge auch in ländlichen Gegenden bereitzustellen. „Wir hoffen nun, dass das Urteil zum Präzedenzfall wird, damit sich weitere Generikahersteller um Zwangslizenzen bemühen“, so Frisch weiter.

Der deutsche Pharmaverband VFA kritisiert die Entscheidung des indischen Patentamtes. „Das indische Patentrecht bietet faktisch keinen Schutz für ausländische Medikamentehersteller mehr“, sagte Rolf Hömke, Wissenschaftsexperte des VFA. Für Präparate aus dem Ausland könne es eine Zwangslizenz geben, sofern sich ein Teil der Gesellschaft das Medikament nicht leisten könne. Dies sei ein Blankoscheck, Zwangslizenzen auf jede beliebige Arznei zu erteilen. „Es gibt in Indien Generika nahezu aller HIV-Medikamente zu kaufen, aber nur 26 Prozent der Betroffenen werden tatsächlich behandelt“, so Hömke. Schuld daran sei die schlechte medizinische Infrastruktur auf dem Subkontinent.

„Dass die medizinische Versorgung in Indien nicht derart ausgereift ist wie die deutsche, ist doch kein Argument dafür, Krebsmedikamente zu überhöhten Preisen anzubieten“, konterte Ärzte-ohne-Grenzen-Sprecher Frisch. Das Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (Trips) der Welthandelsorganisation regele eindeutig, dass Länder in bestimmten Notlagen Zwangslizenzen erteilen dürften. Bis zum Herbst dieses Jahres will die EU mit Indien ein Freihandelsabkommen abschließen, das die Position der Generikahersteller immens schwächen könnte. Ausländische Unternehmen dürften dann die indische Regierung vor Schiedsgerichten verklagen, wenn profitmindernde politische Entscheidungen getroffen werden.

Bayer will nun Beschwerde gegen das Nexavar-Urteil einlegen. „Wir werden unser Patent mit allen Mitteln verteidigen“, erklärte Sabina Cosimano, Sprecherin von Bayer HealthCare. Warum der Konzern keine freiwillige Lizenz für Nexavar vergibt, erläuterte Cosimano nicht. Sie verwies auf ein Patientenzugangsprogramm in Indien, bei dem ausgewählte Patienten das Bayer-Präparat günstiger angeboten bekämen. Über die Zahl der Teilnehmer des Programms gibt Bayer keine Auskunft. SUSANN SCHÄDLICH