Die Kunst der Herablassung

Schlichtes Denken in Gegensätzen, wir und die anderen, Freunde und Feinde: Das Ausstellungsprojekt „Populism“, das in Vilnius, Amsterdam, Oslo und Frankfurt zu sehen ist, erforscht die Auswirkungen einer zunehmend emotionalisierten Politik. Populismus ist nur denkbar im Kontext der Demokratie

von GABRIELE HOFFMANN

Für ihre Videoarbeit „Manager 02“ fand Julika Rudelius zwei Vertreter der Wirtschaft, die bereit waren, über ein von ihr vorgegebenes, dem Betrachter freilich vorenthaltenes Statement zu reden. Die beiden strahlen eine gut trainierte Vertrauenswürdigkeit aus, wie sie über Kindererziehung und ähnliche unverdächtige, gleichwohl durchaus politische Themen plaudern. Langsam, aber immer deutlicher zeigt ihr geschmeidiger Redefluss, wie für sie nicht Argumente, sondern ihr persönliches Gewicht, ihre Macht als Funktionsträger für die Richtigkeit ihrer Meinung steht. Ihnen steht jedes Urteil zu.

Julika Rudelius Video „Manager 02“ arbeitet Franz Müntefering und seinem Generalverdacht gegen die Kapitalisten jederzeit zu. Und so erscheint ihr Film als einer der entschiedensten Beiträge zum Ausstellungsprojekt „Populism“, das jetzt an vier verschiedenen Orten mit vorwiegend den gleichen Künstlern, aber unterschiedlichen Arbeiten zu sehen ist: im Contemporary Art Center in Vilnius, im National Museum of Art, Architecture and Design in Oslo, im Stedelijk Museum in Amsterdam und im Kunstverein Frankfurt. Dabei geht es den Kuratoren Lars Bang Larsen, Cristina Ricupero und Nicolaus Schafhausen nicht darum, ihre Themen durch populistische Kunst zu illustrieren. Vielmehr beschäftigen sich die rund vierzig Künstler mit den Auswirkungen einer zunehmend emotionalisierten Politik – und nutzen dabei selbst Methoden des Populismus.

Weltpolitische Ereignisse wie das Ende des Ost-West-Konflikts und eine globale Ökonomie mit ihren Auswirkungen auf die nationale Politik haben ein Klima geschaffen, in dem der Populismus prächtig gedeiht. Zu seinen besonderen Kennzeichen gehört ein schlichtes Denken in Gegensätzen: wir und die anderen, Freunde und Feinde. Anfällig dafür sind keineswegs nur Menschen, die die Nachteile politischer und sozialer Veränderungen zu spüren bekommen, auch unter den Gewinnern gibt es viele, die sich mit diesem bequemen Schematismus aus der Wirklichkeit stehlen. Dabei macht der Fall Franz Müntefering, jenes Kleinmeisters populistischer Politik, ohne weiteres deutlich: Populismus ist nur denkbar im Kontext der Demokratie. Populismus ist Politik vor den Wahlen und für die Wahlen. Populismus ist Herablassung, Politik fürs Volk.

Aufgrund des Umbaus des Stedelijk Museums präsentiert sich die Ausstellung in Amsterdam an einem ziemlich ungemütlichen Ort, der alten „Post CS“, gleich hinter dem Hauptbahnhof, nahe am Wasser. Auf einem Terrain, das Tobias Zielony zur Fortsetzung seiner Fotoserie „Curfew“ (Ausgangssperre) anregen könnte. Ausgangssperren für Kinder unter zehn Jahren und vorbestrafte Jugendliche sind in einigen englischen Städten bereits Realität. Das von Hilflosigkeit gekennzeichnete schnelle Reagieren der Staatsmacht auf Unruhen im öffentlichen Raum, der nicht abbildbare Hintergrund von Zielonys Porträts von Kindern und Jugendlichen in der Öffentlichkeit, ist dennoch deutliches Zentrum der Arbeit.

Der populistische Schrei nach staatlicher Wachsamkeit bewegt auch Susanne Jirkuff in ihren Zeichnungen unter dem Titel „Shortley Before the Riots Started“. Den Bildern, mit dem Marker überarbeiteten Reproduktionen aus internationalen Zeitungen und Journalen, sind Zettel angeheftet, die Debatten zur Städteplanung, wie Reklame für exklusives Wohnen, zitieren. Dem grob schematisierenden Zeichenstil Jirkuffs kommt eine Welt entgegen, die in „gated communities“ die Voraussetzung für ein Leben in italienischen Designermöbeln sieht. Ein Sachverhalt, der in exklusiven Design-Magazinen wie AD selbstverständlich nicht zur Sprache kommt.

„Trying to find the self in the soul of another“ ist der antipopulistische Traum des Amar Kanwar. Der 1964 in Burma geborene Filmemacher zeigt mit „Somewhere in May“ das erste Fragment eines auf acht Folgen projektierten Filmwerks „The Torn first Page“. Der Titel bezieht sich auf eine Verordnung der burmesischen Militärdiktatur, die erste Seite jedes Buches für regierungsfreundliche Slogans zu reservieren. Nur wenige Arbeiten durchbrechen die willkürliche Verkürzung des Themas auf europäische Demokratien.

Wer mit der populistischen Einstellung, Kunstwerke müssten für jedermann verständlich sein, die Ausstellung besucht, wird an Matthieu Laurettes „Moneyback Life!“ seine Freude haben. Man sieht den Künstler als dreidimensionales Abbild neben einem übervollen Einkaufswagen. Videofilme und Zeitungsberichte versichern uns, dass Laurette über Jahre ausschließlich von Gütern lebte, deren Garantiezertifikat – wenn das Produkt nicht den Erwartungen entspricht, gibt es das Geld zurück – er weidlich in Anspruch nahm. Sein Projekt verhalf ihm in Frankreich zu größter Popularität, die er weiterhin für seine marktpopulistischen Grenzerkundungen nutzt.

Auch Erkundungen in eigener Sache, wie sich Kunstausstellungen heute zwischen dem Anspruch der Innovation und einer Ökonomie bewegen, für die Sponsorentum und Einschaltquote zählen, werden nicht vergessen. Am prägnantesten thematisiert dies die dänischen Künstlergruppe Superflex, die an allen vier Ausstellungsorten einen Besucherzähler installiert hat. Damit setzt sie die Standorte, natürlich auf dem niedrigsten Niveau, auf dem sich die Güte einer Ausstellung messen lässt, in Konkurrenz – nämlich der Anzahl ihrer Besucher. Doch hier möchte man nun wirklich pro „Populism“ argumentieren: Diesem Rattenrennen wünschte man wenigstens Zahlen wie sie das MoMA in Berlin hatte.

In Amsterdam bis 28. 8., in Vilnius bis 4. 6, in Oslo bis 4. 9., im Kunstverein Frankfurt bis 4. 9. Ein gemeinsamer Katalog erscheint im Juli, Reader 10 €