„Wachstum ist niemals CO2-neutral“

WAHRER LUXUS Nachhaltigkeit befreit von Überfluss, sagt Volkswirtschaftler Niko Paech. Die gute Nachricht dabei: Das kann uns glücklicher machen

■ Niko Paech ist Vorsitzender der Vereinigung für Ökologische Ökonomie und Professor am Lehrstuhl für Produktion und Umwelt an der Universität Oldenburg. Sein Buch erscheint im April: Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie. Oekom Verlag, München 2012,144 Seiten, Preis: 14,95 Euro. (lk)

taz: Herr Paech, warum gefährdet materieller Überfluss unsere Lebensqualität?

Niko Paech: Mit ihrem Konsum befriedigen die meisten Leute hierzulande nur noch zu einem geringen Teil Grundbedürfnisse. In den meisten Fällen kaufen sie sich Dinge, um ihrer Identität Ausdruck zu verleihen. Wer ein bestimmtes Handy oder Auto kauft, versucht, sozial mit anderen Schritt zu halten. Viele Produkte versprechen den Käufern überdies eine emotionale Steigerung. Aber beide Effekte verschleißen, weshalb die Dosis permanent steigen muss. Wie beim Wettrüsten müssen wir ständig etwas Neues kaufen, um eine soziale Position zu behaupten und emotionale Kicks zu haben. Und das stresst.

Ist es nicht eine reine Frage des Geldes, wer sich welchen Luxus leisten kann?

Nicht nur. Hier droht ein Teufelskreis: Wir sind gestresst vom Job und wollen das vielleicht durch Konsum und Mobilität kompensieren. Dafür brauchen wir immer mehr Geld, müssen uns also noch mehr für eine ergiebige Karriere anstrengen, haben so noch mehr Stress. Hinzu kommt das Hauptproblem: Jede Kaufentscheidung kostet uns erst einmal etwas sehr wertvolles, nämlich Zeit. Immer mehr Menschen können sich Güter leisten, für die dann die Zeit fehlt, diese überhaupt genussvoll auszukosten. Man zappt sich am Fernseher durch 30 Programme und stöbert nebenher mittels Tablet-Rechner bei E-Bay. Um Facebook müsste man sich eigentlich auch noch mal kümmern. Um all das, was ich in Anspruch nehmen könnte, zu verarbeiten, brauche ich so viel Aufmerksamkeit, dass keine Zeit mehr zum Genießen mehr übrig bleibt. Man kauft Dinge, die kaum mehr oder nur noch oberflächlich genutzt werden. Als Selbstschutz hilft dann nur noch, bestimmte Rubriken oder Konsumbereiche komplett auszusondern. Wenn ich etwa kein Auto habe, halte ich mir den zeitraubenden Auto-Kosmos elegant vom Hals. Die Kunst des Genusses bedeutet, bestimmte Optionen souverän links liegen zu lassen, sich auf Dinge zu beschränken, für die man die Zeit hat, sie auszukosten. Das nützt nebenbei auch der Ökologie.

Sind umweltfreundliche Technologien keine Lösung für ein langfristig stabiles Wachstum?

Wirtschaftliches Wachstum ist niemals CO2-neutral, wenn man alle Verbräuche vom Anfang bis zum Ende durchrechnet. Schlagworte wie „grünes“ Wachstum und „nachhaltiger“ Konsum, die suggerieren, es gäbe gutes oder schlechtes Wachstum. Aber das ist Augenwischerei. Zum Beispiel Carsharing: Wenn hierdurch das Bruttoinlandsprodukt steigen soll, müsste es zusätzliche Nachfrage nach motorisiertem Individualverkehr entfachen. Wie sonst sollte Wirtschaftswachstum herauskommen? Das schadet aber der Umwelt, weil auch zusätzliche Carsharing-Fahrten CO2 verursachen, ganz zu schweigen von den zusätzlichen Fahrzeugen. Wenn dagegen das Carsharing den eigenen Pkw ersetzt und die gefahrenen Kilometer nicht zunehmen, kann die Wirtschaft kaum wachsen oder schrumpft sogar. Das gilt auch für andere Branchen, wie etwa den Energiesektor. Entweder Wachstum oder Nachhaltigkeit.

Wie kann nachhaltiges Wirtschaften dann funktionieren?

Dadurch, dass wir die derzeitige Industrie zurückbauen und die Versorgung lokaler und regionaler gestalten. Wenn wir nur noch 20 statt 40 Stunden in der Industrie arbeiten, steht uns die frei gewordene Zeit zur Verfügung, die halbierte Produktion durch lokale Eigenarbeit zu ergänzen, langlebig zu machen und mit anderen zu teilen. Die Quantität des materiellen Wohlstandes sinkt, aber die Qualität steigt. Erstens: weil wir an seiner Gestaltung aktiv teilhaben, also ökonomisch souverän werden. Zweitens: weil wir intensiver genießen. An die Stelle des Besitzes tritt das Erlebnis. Glücklich ist ja nicht, wer viel hat, sondern wenig braucht. INTERVIEW: LARS KLAASSEN