in der taz vor 13 jahren: bascha mika über marlene dietrichs begräbnis
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Blaue Engel sterben. Und wenn sie zu Grabe getragen werden, sind auch ihre Vettern, die Dämonen, nicht weit. Wie am Sonnabend in Berlin, als Marlene Dietrich beerdigt wurde. „Womit hat sie das verdient?“ fragt die alte Dame in Beige erbost. Am Rande des kleinen Friedhofs in der Stubenrauchstraße sitzt sie unter Linden und Birken, bewaffnet mit einem Miniaturrechen und einer Hacke. Die Beisetzungszeremonie für die Künstlerin ist soeben zu Ende gegangen, der Kirchhof für das Publikum geöffnet. „Verraten hat sie uns, damals. Und jetzt kriegt sie ein Staatsbegräbnis. Und dann heißt es, wir müssen sparen.“

Ein Weltstar ist tot; aber die Gefühle, die er in seiner Heimatstadt geweckt hat, sind höchst lebendig. „Sie ist doch immerhin eine Deutsche“, mischt sich die 83jährige Banknachbarin ein. „Man soll nicht soviel Schmutz aufwühlen, wenn ein Mensch nicht mehr lebt. Auch wenn sie sich unbeliebt gemacht hat.“ Ein Engel, der seine Flügel in Deutschland abstreifen will, darf kein Emigrant gewesen sein, keiner, der in fremder Uniform gegen die Nazis gekämpft hat. Das ändern selbst die paar Tausend meist jungen Leute nicht, die nach der Beerdigungsfeier stundenlang anstehen, um einen Blick in die Grube zu werfen.

„Sich einer Übermutter innerhalb von acht Tagen zu nähern“, bemerkte Berlins Kultursenator Roloff-Momin, „ist eine gigantische Aufgabe.“ Daran und offenbar auch an dubiosen politischen Rücksichtnahmen auf den rechten Wählerrand war die geplante Ehrengala „Adieu Marlene“ gescheitert. Statt dessen inszenierte der Senat noch flugs ein Stelldichein im Ostberliner Zeughaus. Statt einer Hommage an die große Schauspielerin gab es belegte Brötchen für die Journaille. Wie würde ein professioneller Engel auf soviel Unprofessionalität, auf so wenig Herz und Verstand reagieren? Die Augenbrauen hoch und die Mundwinkel leicht verächtlich nach unten ziehen würde Marlene – und sich auf ihren Schwingen davonmachen. (taz, 18. 5. 1992)