Kann richtig kaufen die Welt retten?

Ende August führt sogar Aldi Süd eine eigene Fair-Trade-Marke ein. Die Bewegung der bewussten Konsumenten wird immer stärker

Ja

Bärbel Höhn, 57, ist stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Grünen

Unsere Kaufentscheidungen prägen die Welt, in der wir leben. Ökostrom oder Kohlekraftwerke, Freiland- oder Käfighaltung, Fair Trade oder Hungerlöhne – wir haben es alle mit in der Hand. Wer Bioprodukte einkauft, verbannt Chemiedünger und Pestizide von den Feldern und tut etwas für den Klimaschutz. Wenn das Beispiel Schule macht, wenn Öko trendy wird und rauskommt aus der Nische, ändert sich auch die politische Diskussion. Sicher: Die Lohas werden die Welt nicht im Alleingang retten. Richtig einkaufen macht richtig wählen nicht überflüssig. Und die Macht der VerbraucherInnen darf kein Alibi sein für die Untätigkeit der PolitikerInnen. Aber Veränderung beginnt oft im Kleinen: Bei der Suche nach dem „Rugmark“- oder „ohne Gentechnik“-Siegel. Beim Hinterfragen der Dumpingstrategien des Handels. Lassen wir uns nicht einreden, wir könnten nichts tun.

Rob Cameron, 52, Geschäftsführer von Fairtrade Labelling Organisations International

Fair-Trade-Käufer wissen, dass die Menschen, die an der Produktion der Waren, die sie kaufen, mitbeteiligt waren, einen fairen und sicheren Lohn für ihre Arbeit bekommen. Diese Einkommenssicherheit bedeutet auch Zukunftssicherheit für Millionen Menschen weltweit. Sie können aus der Armut herauskommen, sie können ihre Wirtschaft aufbauen und sie können in Schulen und andere soziale Einrichtungen investieren. Jeder faire Kauf unterstützt die Vision. Die Vision, eine Welt zu schaffen, in der ArbeiterInnen und Bauern und Bäuerinnen sichere und nachhaltige Lebensgrundlage genießen und selbst über ihre Zukunft bestimmen.

Jochen Dallmer, 34, betreut konsumkritische Stadtführungen in ganz Deutschland

Durch Kaufentscheidungen unterstütze ich bestimmte Firmen, Strukturen, Arbeitsweisen, Produktionsbedingungen. Oder eben nicht. Wenn ich mich informiere und „anders“ konsumiere, also weniger verbrauche – dafür gebraucht, lokal, fair und bio einkaufe, ist das ein Beitrag zu einer anderen Welt. Ein kleiner, aber konkreter und notwendiger. Weltweit arbeiten 25 Millionen Menschen im Kaffeeanbau. Mehr sind von diesen Einkommen abhängig, die meisten leben in Armut. Wird mehr bio und fair gehandelt, haben Millionen Menschen bessere Lebensbedingungen. Ganz einfach. Warum also das nicht nebenbei machen, während wir die Welt retten?

Tanja Busse, 39, schrieb das Buch „Die Einkaufsrevolution. Konsumenten entdecken ihre Macht“

2009 wurden mehr fair gehandelte Waren gekauft als jemals zuvor. Transfair erwartet in der Wirtschaftskrise einen Anstieg um 25 Prozent. Das allein rettet nicht die Welt, natürlich. Aber es ist ein Anfang, ein Bemühen um Weltverbesserung von Supermarktkunden und -kundinnen, die sich ohnmächtig gegenüber der großen Weltungerechtigkeit fühlen. Der fair gehandelte Biokakao in ihren Einkaufswagen zeigt, dass sie Verantwortung akzeptieren. Das ist der erste Schritt der Politisierung des Konsums. Die nächsten sind: die Forderung nach umfassender Auskunftspflicht der Hersteller. Und schließlich die Durchsetzung von ökologischen und sozialen Standards und eine Umkehrung der Beweispflicht: Die Hersteller müssen durch externe Kontrollen nachweisen, dass sie diesen Standards entsprechen. Das alles ist nur mit einer großen Gruppe kritischer Konsumenten und Konsumentinnen durchsetzbar.

Nein

Harald Christ, 37, Multimillionär, Sozialdemokrat und im Kompetenzteam von Steinmeier

Ich warne vor allzu viel Optimismus bei dieser Frage. Kaufentscheidungen sind ein komplizierter Vorgang und ethische Erwägungen nur einer von vielen psychologischen Faktoren. Davor kommt: Entspricht das Angebot meinem Bedarf? Stimmt das Verhältnis zwischen Preis und Leistung? Bewusstes Kaufen kann enorm wichtige Impulse für die Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft geben. Dass Konsumenten mündig werden, ist nur zu begrüßen – genauso wie die Frage, ob man seine Kaufentscheidungen moralisch verantworten kann. Bei Krokodilleder ist die Entscheidung leicht. Aber woher kann der Käufer verlässlich wissen, ob der angebotene Kaffee von einer Plantage stammt, in der es sozial gerecht zugeht? Oder ob der Verzicht auf Gentechnik wirklich zutrifft? „Richtig kaufen“ allein wird die Welt nicht retten. Staatlich garantierte Rahmenbedingungen sind unverzichtbar.

Wolfgang Ullrich, 42, beschäftigt sich als Kulturwissenschaftler mit der Konsumgesellschaft

Wenn das „Richtig-Kaufen“ so einfach wäre, dann schon. Wollte man jeweils erst nachprüfen, ob ein Produkt ökologisch und sozial verträglich ist, geriete das Einkaufen schnell zum zweiten Beruf. Man müsste überlegen, ob man ein ressourcenschonendes, aber zu Dumpinglöhnen hergestelltes Produkt kauft oder einen klimaschädlichen Konkurrenten, dessen Produzent korrekt zu seinen Mitarbeitern ist. Und man müsste auch noch gut situiert sein, um sich die oft teureren „richtigen“ Produkte leisten zu können. Die paar Privilegierten, die Geld und Zeit haben und das Einkaufen zu ihrem Lebensinhalt machen, sind auf jeden Fall zu wenig, um die Welt zu retten!

Jurek Lufft hat seinen Beitrag neben mehren Dutzend anderer Leser auf taz.de gestellt

In der am Kapital orientierten Welt, in der wir leben, ist es Unternehmern egal, ob wir alle dem Naturschutzbund beitreten. Man wird lediglich als Konsument oder bestenfals als Wähler wahrgenommen. Von daher ist das Vereinigen zu Gruppen durchaus wichtig, wenn es um so existenzielle Dinge wie Essen geht. Dass aber nur ein Teil der Zutaten eines Fair-Trade-Produktes auch fair gehandelt sein muss, das Biobestimmungen bei den Zutaten noch wenig beachtet sind und dass der Anteil dieser Produkte am Gesamtmarkt verschwindend gering ist, zeigt, dass es maximal ein erster Schritt ist. Kein großer Durchbruch im Kampf für eine gerechtere Welt.

Berndt Hinzmann, 46, ist Experte für Arbeitsbedingungen in Textilproduktionsländern

„Kaufe ich, also bin ich. Kaufe ich richtig, bin ich gut“ – das scheint die Maxime zu sein. Dass der Mensch nur dadurch, dass er etwas kauft, Einfluss nehmen kann, ist ein sehr eng gefasstes Verständnis des Menschseins. Kaufen ist kein Rettungsakt. Zu Beginn der Krise wurde ja Konsum zum Thema, wegen der Angst vor Kaufabstinenz. „Durchs Shoppen aus der Krise“, so kam es zur Abwrackprämie. Aber gibt es darin tatsächlich auch Neuansätze im Sinne von Umwelt- oder Sozialstandards? Nein, denn das Entscheidende fehlt: der politische Wille, etwas an den Grundursachen zu verändern. Die Politik ignoriert das gesellschaftliche Trendbarometer einfach. Aber es gibt einen Weg, manchen Menschen zu „retten“, der zum Beispiel Hemden und Röcke herstellt. Nicht allein durch Kaufen. Sondern auch durch Unterstützung politischer Aktionen wie denen der Kampagne für Saubere Kleidung.