NEBENSACHEN AUS WASHINGTON VON ADRIENNE WOLTERSDORF
: Karitativer Kapitalismus

In den USA gibt es mehr umsonst als gedacht – zum Beispiel Spielen auf städtischen Tennisplätzen

Das Land der schier grenzenlosen Geldgier, Amerika, wo alles nach seinem Dollarwert bemessen wird, ist Realität. Nicht umsonst riss die außer Rand und Band geratene Wall Street mit ihrer Lust auf Profit Millionen von US-Hausbesitzern mit „toxischen Papieren“ und haarsträubenden Hypotheken ins Verderben.

Doch diesen Sommer reise ich einmal quer durch den Kontinent und kann nur staunen, was der Kapitalismus mir so alles schenkt. Da sind, am Ausgangsort der Reise, Washington, die Museen der Smithsonian Institution, der weltgrößten Museumsstiftung. Das Stifterkapital kam Ende des 19. Jahrhunderts von einem frustrierten britischen Chemiker, der die abspenstigen Vereinigten Staaten zu seinen Lebzeiten niemals besucht hatte.

Heute unterhält „the Smithsonian“ allein in Washington 14 Museen – und keines davon verlangt Eintritt. Nicht alle Museen des legendären Smithsonian sind Weltklasse, aber der Komplex gilt als die größte Museumssammlung der Welt mit allein 10.000 Mottenarten aus Skandinavien. Wo anders bekomme ich so eine mottige Auswahl für lau geboten?

Tennisplätze für die mittellose Allgemeinheit

Dann wären da noch die Tennisplätze. Was in New Yorker Stadtteilen die Basketballspielfelder im Stile eines Freiganghofes des nächsten Knastes sind, das sind in anderen US-Städten die städtischen Tennisplätze. Oft mit meterhohen Maschendrahtzäunen umgeben, stehen allein in meinem Latino-Arbeiterviertel, in dem ich für die taz Quartier genommen habe, mindestens vier hervorragend ausgestattete Tennisplätze für die mittellose Allgemeinheit zur Verfügung.

Es gilt eine ganz einfache Regel: Wer zuerst kommt, slamt zuerst. Sind vor mir und meinem Matchpartner schon andere Spieler zugange, teilten diese mir freundlich mit, wie lange sie noch zu spielen gedenken und wann ich auf den Platz kann. Keine Bürokratie, keine Clubmitgliedschaft, kein Vereinsleben. Nur ein Paar Tennisschläger sind erforderlich.

Bei meiner Reise quer durch die USA fällt mir auf, wie viele Für-umsonst-Highlights es gibt. Zum Beispiel den Zoo in St. Louis, der größten Metropole des ansonsten nicht weiter bemerkenswerten Bundesstaates Missouri. Der Zoo gilt als einer der besten der USA, zumindest als einer der „sexiesten“ des Kontinents – gemessen an seiner Reproduktionsrate –, und kostet mich keinen Cent.

Zuvor hatte ich die Wahl zwischen einigen Kunstmuseen, die ebenfalls ehrlich froh zu sein schienen, dass ich sie mit meiner Anwesenheit beehre. Wie im Zoo in Washington, der dem Besucher solch seltene Attraktionen wie Pandakinder bietet, prangt in St. Louis über jeder Abteilung „Gesponsert von XY“, aber das kümmert mich nicht weiter. Denn um mich herum galoppieren in einem weitläufigen, von Boeing gesponserten gläsernen Becken – unter Wasser – Nilpferde an mir vorbei. Wie beglückend.

In Cincinnati sehe ich eine Ausstellung mit Werken von van Gogh, ohne Eintritt zu zahlen, und in Kansas City die größte Fotosammlung der USA, dazu eine provokante Ausstellung junger moderner Kunst, bei der nicht einmal der Parkplatz etwas kostet.

In Wyoming, einem herrlich wilden Cowboystaat, bietet die Kleinstadt Saratoga sogar ihre heißen Quellen samt angrenzendem Flussbad 24/7 mit Dusche und Umkleidekabine für umsonst an. Da wundere ich mich nicht einmal mehr, als am Abend, in der Million-Dollar-Cowboy-Bar das Bier samt zackiger Musikband genauso viel kostet wie an der Tankstelle um die Ecke.

Der Kapitalismus, so könnte man meinen, hat fast etwas Karitatives. Wenn da doch nur nicht das uramerikanische Motto wäre: There’s no such thing as a free lunch! – Vergiss es, es gibt kein Essen umsonst. Am Ende zahlst du immer die Zeche. Nur wann das Ende ist, das frage ich mich in diesem Sommer einfach nicht.