Präventionsoffensive gegen das Blaumachen

Das Handwerkerinnenhaus Köln bietet Schulschwänzerinnen eine neue Chance, außerhalb der Regelschule einen Abschluss zu machen. Ziel der Projekte „Kneifzange“ und „Pfiffigunde“ ist, den Mädchen Spaß am Lernen zu vermitteln

Köln taz ■ „Die meisten Mädchen, die zu uns kommen, haben Monate lang geschwänzt. Sie wollen eigentlich mit der Schule nichts mehr zu tun haben“, beschreibt Birthe Scharwächter, Sonderschullehrerin im Kölner Mädchenprojekt „Kneifzange“, die Situation der so genannten Schulverweigerinnen.

Zeitweilig von der Schule angenervt zu sein – das kennt fast jeder aus eigener Erfahrung. Doch etwa zehn Prozent der 13- bis 16-Jährigen in Köln sind vom Schulbetrieb so frustriert, dass sie regelmäßig der Straße den Vorzug geben. Sie gelten als Schulverweigerer. Seit sechs Jahren bietet das Handwerkerinnenhaus Köln (HWH) in der Kempener Straße in enger Zusammenarbeit mit der „Schule für Erziehungshilfe“ Auguststraße notorischen Schulschwänzerinnen im 9. und 10. Schuljahr eine neue Chance, außerhalb der Regelschule den Hauptschulabschluss zu machen.

„Es ist cool hier. Meine Eltern mussten Bußgeld zahlen, weil ich nicht zur Schule gegangen bin. Deshalb hat mich das Jugendamt hierher vermittelt“, grinst die 17-jährige Lucy*. Nach anderthalb Jahren Abstinenz drückt sie im HWH wieder eine Schulbank. „Unser Ziel ist es, die Mädchen zu reintegrieren, damit sie einen strukturierten, normalen Alltag erfahren, sich auf die Gruppe einlassen, regelmäßig arbeiten und wieder Spaß am Lernen finden“, erklärt Birthe Scharwächter das Konzept.

In Kleingruppen von acht Schülerinnen und angeleitet von einem Team aus einer Sonderschullehrerin, einer Schreinerin und einer Sozialpädagogin sollen die Mädchen in ein bis zwei Jahren soziale und praktische Kompetenzen erlernen. Zum regulären Unterricht der Hauptfächer gehört zusätzlich die praktische Arbeit in der Holzwerkstatt.

Mit der „Kneifzange“ soll nicht nur das Symptom bekämpft werden; dazu ist die Polizei da, die nach Schulschwänzern fahndet, und das Ordnungsamt, das gegen desinteressierte Eltern Bußgeldern verteilt. Das HWH will die Ursachen des Blaumachens angehen. Und die sind vielfältig. Celine* (15) kam zum Beispiel mit der großen Klasse und dem Lerndruck nicht zurecht. Aber auch familiäre Probleme, längere Krankheiten oder Mobbing bis hin zu körperlicher Gewalt lassen die jungen Schülerinnen oft mit Rückzug oder aggressiv reagieren.

„In der siebten Klasse wurde ich am Herzen operiert, kam danach nicht mehr richtig mit und musste die Klasse wechseln“, erzählt Kimberly* (15). „Außerdem war ich mit den falschen Freunden zusammen, die immer geschwänzt haben“, ergänzt sie. Auch Gruppendynamik kann bei Schulfrust eine Rolle spielen. Die intensive Betreuung im HWH kommt nicht bei allen Mädchen an. Etwa ein Drittel von ihnen gibt vorzeitig auf.

Die Zahl der Schulverweigerer und -verweigerinnen in Köln steigt, und es erwischt immer öfter jüngere Kinder. Das HWH versucht deshalb mit dem Projekt „Pfiffigunde“ schon die schulmüden Mädchen der 6. Klasse zu erreichen. Gefördert werden „Kneifzange“ und „Pfiffigunde“ durch das Land NRW und die Stadt. Doch wegen der angespannten Haushaltslage wurden die Mittel drastisch gekürzt. „Für das Jahr 2005 haben wir von der Stadt Köln einen Mietzuschuss erhalten, der einen Teil der Kosten deckt. Aber wie es im nächsten Jahr aussieht und wie wir die Projekte nachhaltig finanziert bekommen, wissen wir noch nicht“, beschreibt Nane Lehmann, Sozialarbeiterin im HWH, die prekäre Situation. Dabei ist die Präventionsarbeit nicht nur sozialer, sondern auch wesentlich kostengünstiger als die Symptombekämpfung. „Wir wollen hier nicht warten, bis die Mädchen durchs Raster fallen, sondern so früh wie möglich reagieren“, betont Nane Lehmann. Schließlich sind die schulmüden Mädchen von heute die Schulverweigerinnen von morgen. Und die Schulverweigerinnen von morgen sind die Arbeitslosen von übermorgen. BRIGITTE MASER

* Namen geändert