Landtagswahl in Brandenburg: Wider die Resignation

Sandow ist ein Ortsteil von Cottbus und ein klassisches ostdeutsches Plattenbauviertel. Es gibt viele Probleme, aber auch Hoffnung. Ein Stadtrundgang.

Das Foto zeigt Plattenbauten im Cottbusser Stadtteil Sandow. Im Vordergrund hängen Wahlplakate.

Plakate für die Landtagswahl prägen derzeit auch das Plattenbauviertel Sandow in Cottbus Foto: Martha Blumenthaler

COTTBUS taz | Blaue und grüne Balkone wechseln sich an der Fassade ab. „Erster Balkon von unten, wo die drei Markisen sind – da habe ich ab 1974 gewohnt“, sagt Birgit Mankour und zeigt auf den Plattenbau. Die 59-Jährige ist in Sandow, einem Stadtteil von Cottbus im Süden Brandenburgs, aufgewachsen. Seit 1997 lebt sie wieder in dem Plattenbauviertel. Die DDR-Zeit und Auswirkungen der Nachwendejahre hat sie in Sandow erlebt. Die Geschichten, die Mankour bei einem Rundgang durch das Viertel erzählt, decken sich mit denen von vielen Kleinstädten im Osten der Republik. Aber in Sandow gibt es auch Dinge, die Mut machen. „Sandow Community Power“ zum Beispiel. Eine Bürgerinitiative, die sich für eine bessere Vernetzung unter den Be­woh­ne­r*in­nen und einen intergenerationalen Begegnungsort in Sandow einsetzt.

Birgit Mankour, eine kleine Frau mit silbergefärbtem Kurzhaarschnitt, engagiert sich bei „Sandow Community Power“. Früher war sie für die Linken in der Stadtpolitik tätig, jetzt ist sie noch Mitglied, aber keine Stadtverordnete mehr. Hauptberuflich arbeitet sie als Betreuungsassistentin für Menschen mit Demenz in einer Pflegeeinrichtung in Sandow. In dem Stadtteil wohnen viele alte Menschen und auch viele Migrant*innen. Viele leben in prekären Verhältnissen. Die Arbeitslosigkeit ist hoch; die Kinder- und Jugendarmut auch.

Treffpunkte gibt es kaum, „Sandow Community Power“ möchte das ändern. Die Menschen zusammenbringen, ihnen eine Stimme geben und zur Selbstermächtigung verhelfen, das sei das Ziel, sagt Mankour. So lasse sich auch die Demokratieverdrossenheit bekämpfen und die Vereinzelung und Einsamkeit. Zwischen den Menschen das Verbindende suchen, darum gehe es.

Als Erstes hat die Initiative einen Schaukasten aufgehängt, alle im Viertel können sich dort über geplante Aktivitäten informieren. Der nächste Schritt war, ein Sommerfest zu organisieren. Dieses Jahr fand das bereits zum zweiten Mal statt und war mit 1.000 Be­su­che­r*in­nen ein voller Erfolg. Nun sucht die Initiative nach einem leerstehenden Laden oder Gebäude als Begegnungsort. Leerstand gibt es in Sandow genug. Beim Spaziergang mit Mankour durch das Viertel wird das deutlich.

Rechtsextreme Fanszene

Nahezu an jeder Wand, an jedem Stromkasten, ist „Energie Cottbus“ getaggt. Das Graffito steht für den Cottbusser Fußballverein, der für seine rechtsextreme Fanszene bekannt ist. Dass die sozialen Probleme mit einer Verwahrlosung des Viertels einhergehen, ist nicht zu übersehen. In der Muskauer Straße steht eine Brandruine. Das leerstehende Haus wurde im Sommer angezündet.

Kinder und Jugendliche stehen im Verdacht, das Feuer gelegt zu haben. Warum sollten sie das getan haben? „Aus Blödsinn“, sagt Mankour trocken. Im Kontrast dazu das gut sanierte Nachbarhaus. Es gehört einem Privateigentümer. Aus Altem lasse sich durchaus etwas Schönes machen, sagt die Sandowerin.

Weiter geht es zu einem eingezäunten Gebäude, in dem sich zu DDR-Zeiten die Kaufhalle des Quartiers befand. Der heruntergekommene Kastenbau sei ein „Ärgernis“ und „Schandfleck.“

Dahinter hätten sich kleinere Geschäfte befunden, erzählt Stadtführerin Mankour. Eine Wäscherei-Annahme, ein Blumenladen und die „Mentana“. So hieß das Gasthaus, nach dem das Areal benannt ist und in dem es Tag und Nacht eine Mensa gab. Auch Softeis sei dort verkauft worden, erinnert sich Mankour. „Da habe ich meine Ferien verbracht“. Stück für Stück seien diese Orte nach der Wende verschwunden.

Gefluteter Ex-Tagebau

Heute gibt es in der alten DDR-Ladenzeile noch zwei Geschäfte, eines davon ist ein russischer Supermarkt. Gleichzeitig ist Sandow aber von Aufwertung bedroht. Der Grund: Das Quartier liegt zwischen der Cottbuser Altstadt und dem geplanten Hochglanz-Hafenviertel am Cottbuser „Ostsee“. Dabei handelt es sich um einen ehemaligen Tagebau, der derzeit geflutet wird.

Inmitten einer Parkanlage steht das Juri-Gagarin-Raumfahrtplanetarium; Birgit Mankour hatte dort früher Astronomieunterricht. Durch zivilgesellschaftliches Engagement konnte das Gebäude erhalten bleiben. „Man fühlt sich dort wirklich wie im Weltraum“, erzählt die 59-Jährige mit Blick auf die silberne Kuppel des Relikts aus DDR -Zeiten.

Bei einer Rast auf einer Parkbank wird die Aktivistin grundsätzlich. Im Jahr 2015 seien viele Geflüchtete nach Sandow gekommen. Die alteingesessenen An­woh­ne­r*in­nen hätten mit Skepsis bis Abwehr reagiert. „Die Menschen erklären mir das so: Die haben das Gefühl, Migranten sind eine Art Übermacht“, sagt Mankour. Der Alltagsrassismus in Cottbus macht ihr große Sorgen. Aus der Mitte der Gesellschaft heraus müsse dem entgegengetreten werden „von Menschen, die sich noch trauen, das anzusprechen“.

Birgit Mankour ist ein Mensch, der auf andere zugeht. In Sandow kommt das gut an, wie bei dem Rundgang zu sehen ist. Sie hat keine Berührungsängste, nimmt Leute bei der Begrüßung auch mal in den Arm. Im Imbiss wechselt sie mit dem Verkäufer hinter der Theke ein paar Sätze auf Vietnamesisch. Das könne sie ganz gut, sagt sie später.

Versäumnisse etablierter Parteien

Der Aufwind der AfD habe dafür gesorgt, dass sich rechte Strukturen in Cottbus bestärkt fühlen, sagt sie. Jahrelang hätten die etablierten Parteien versäumt, sich zu kümmern. Die Enttäuschung der Ostdeutschen über die Deindustrialisierung und den Verlust vieler Arbeitspätze nach der Wende sei nicht zu unterschätzen. Auch in Sandow hätten sich viele Hoffnungen auf ein besseres Leben nicht erfüllt. „Die Kinder, die nach der Wende großgezogen wurden, haben diese Traurigkeit, diese tiefe Depression, die hier entstanden ist, gesehen“. Die Folge: „Entweder sie haben sich da rausgearbeitet oder sich bei den Rechten verortet oder sind untergegangen.“

Was will sie damit sagen? „Wir haben das alles schon mal durchlebt: Diese Unsicherheit und diese Angst, noch mal neu anfangen zu müssen“. Das entschuldige keinen Rassismus, stellt Birgit Mankour klar. Aber das sei vielleicht das Einzige, das viele Menschen noch verbinde: „Gemeinsam gegen etwas sein, vor allem gegen eine andere Gruppe.“

Statt die Unzufriedenheit auf andere abzuwälzen, müssten die Bür­ge­r*in­nen selbst aktiv werden, davon ist sie überzeugt. „Einfach mal im Alltag Ärmel hochkrempeln, mitmachen und für sich einstehen.“ Das müsse nicht immer gleich eine Demonstration oder eine besonders coole Aktion sein.

Für ein „Wir-Gefühl“ arbeiten

Selbstorganisiertes Engagement kann in Sandow bereits einige Erfolge feiern. Eine andere Initiative, die „Engagierte Jugend Sandow“, hat sich einen selbstverwalteten Jugendclub erkämpft, der im Dezember aufmachen soll. Auch durch eine Pflegeeinrichtung am Blechepark, die seit 15 Jahren existiert und in der Mankour arbeitet, habe sich viel verbessert. Das zeige, dass sich in Sandow etwas tut, so Mankour. „Wir wollen nicht nur meckern, wir wollen es besser machen. Damit die Gesellschaft mehr zusammenhält und ein Wir-Gefühl entstehen kann unter allen Gruppen, die hier leben.“

Birgit Mankours Blick geht zu Boden auf die Platten auf dem Gehweg. An vielen Stellen ist der Beton herausgebrochen. Diese kaputten Fußwege seien gefährlich, nicht nur für alte Menschen. Aber auch da passiere etwas. Das habe sie in den letzten Jahren gemerkt. „Es geht eben nicht immer alles sofort.“

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