Doku über Klimaaktivismus: Im Widerstand gegen die Verdrängung

„System Change“ porträtiert kompromisslos junge Klimaaktivist:innen. Gezeigt wird ihr Versuch, trotz aller Anfeindung irgendwie weiterzumachen.

Ein Mann sitzt mit einem Stift vor einem abgesägten Stamm

Ein Aktivist bei der Arbeit in „System Change“ Foto: Barnsteiner

Grau und kalt ist es im Dannenröder Wald. Scheinwerfer kegeln durch die Nacht, Po­li­zis­t:in­nen sind in die Waldbesetzung eingedrungen. Eine Aktivistin filmt sie aus einem Baumhaus. Die Polizei verprügle unten gerade alle, die sich noch auf dem Boden befinden, sagt sie.

Aus einem anderen Baumhaus heraus ruft eine bebende Stimme: „Wenn ihr denkt, dass ihr uns so vertreibt, habt ihr euch ganz schön getäuscht! Wir kommen immer wieder und wir werden immer wütender … Ich werde immer wütender!“ In den Worten liegt viel Verzweiflung und Traurigkeit.

Mit der Dokumentation „System Change“ ist dem Biologen Klaus Sparwasser ein brutales und ehrliches Porträt der Lebenswelt junger Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen gelungen. Es ist ein Film von einem Aktivisten für Aktivist:innen, eine bildgewaltige Darstellung der Wahrnehmung ihres Kampfes gegen die fossile Welt. Der Schwerpunkt ist die Räumung des Dannenröder Walds für den Ausbau der A49 2020, doch auch der Kampf um Lützerath 2023 und die Proteste gegen LNG-Terminals in Brunsbüttel Anfang dieses Jahres kommen vor.

Der Film geht unter die Haut. Mit dramatischer Musik unterlegt, wechseln sich Szenen von Polizeigewalt, umfallenden Bäumen und durchgebrochenen Polizeiketten ab. Dazwischen erklären Wis­sen­schaft­le­r:in­nen und Ak­ti­vis­t:in­nen in Interviews die Klimakrise – und warum das Unvermögen der Politik, dieser wirklich etwas entgegenzusetzen, systemische Gründe hat.

„System Change“. Regie: Klaus Sparwasser. Deutschland 2023, 90 Min.

„In bisherigen kapitalistischen Entwicklungsschüben wurden Krisen stets durch eine Ausweitung der Unterwerfung der Welt gelöst, also durch Wachstum. Das Problem in der Ökokrise ist, dass wir uns planetaren Grenzen nähern“, führt etwa der Aktivist und Politikwissenschaftler Tadzio Müller aus.

Wie seinen Platz in der Welt finden?

Doch die wirkliche Stärke der Doku liegt in der Darstellung, was dieser Kampf mit den Ak­ti­vis­t:in­nen macht. „Ich weiß nicht, wie ich meinen Platz in dieser Welt finden soll“, sagt zum Beispiel „Pippi“, eine junge, vermummte Aktivistin mit trauriger Stimme. Niemals wolle sie, dass die Wut und Verbitterung, die Po­li­ti­ke­r:in­nen und Po­li­zis­t:in­nen in ihr auslösten, sich irgendwann in ihrem Charakter niederschlägt. „Da kämpfe ich jeden Abend in mir, dass ich schaffe, das umzuwandeln“, sagt sie.

Verzweifeln lässt Pippi auch, dass die Mehrheitsgesellschaft die Klimakrise verdrängt und deshalb nichts von ihrem Kampf wissen will. „Wir sind die Bösen. In den Medien, für die Mitte der Gesellschaft, für die Polizisten. Und dann sitze ich auf dem Baum und verstehe die Welt nicht mehr“, sagt sie.

„Maya“, eine weitere Aktivistin, erzählt unter Tränen, wie fortwährend nach Gründen gesucht würde, den Ak­ti­vis­t:in­nen nicht zuhören zu müssen. Maya sagt: „Sobald irgendwo eine Rauchbombe ist, sind unsere Argumente nicht mehr relevant, dann ist nicht mehr relevant, wofür wir einstehen und dass wir eigentlich diese Welt verbessern wollen.“

Den Ausweg sieht Regisseur Sparwasser im wachsenden Widerstand, in der „Story of Growing Resistance“, wie es im Untertitel heißt. Angesichts einer politischen Lage, in der zwar eine Flutkatastrophe die nächste jagt, die Priorität bürgerlicher Politik aber auf der Abschottung in der Festung Europa zu liegen scheint, wirkt das ebenfalls etwas verzweifelt.

Der Stand der Bewegung

Das Möglichkeitsfenster, das während des Peaks der Klimabewegung vor einigen Jahren gegeben war, scheint momentan geschlossen. Unfreiwillig wird der Film so zu einem Testament für den Stand einer Bewegung zwischen Klimadepression und Versuchen, noch im Kollaps irgendwie weiterzumachen.

Man mag es als Fehler des Films interpretieren können, dass am Ende nicht wirklich ein beruhigender Silberstreif aufgezeigt wird. Andererseits bleibt der Film so seinem Ansatz treu, die Perspektive der Bewegung begreifbar zu machen.

In den vergangenen Jahren hat sich in immer größeren Teilen der Klimabewegung der Konsens durchgesetzt, dass innerhalb des fossilen Kapitalismus die Klimakrise tatsächlich nicht lösbar ist. Wie der Systemwechsel aber eingeleitet werden kann, muss die Bewegung noch herausfinden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.

Ihren Kommentar hier eingeben