Tod von Hassan Nasrallah: Das Ende eines Warlords

Hassan Nasrallah ist bereits der zweite Anführer der Hisbollah, den Israel aus dem Weg räumt. Seine Parolen und Strategien dürften überleben.

Eine Frau im Libanon läuft mit einem Porträt von Nasrallah durch die zerstörte Grenzstadt Aita al-Shaab

Vorbild Nasrallah: Eine Frau im Libanon läuft mit einem Porträt durch die zerstörte Grenzstadt Aita al-Shaab Foto: Mohammad Zaatari/ap

FREIBURG taz | Nur wenige Wochen nach seinem 64. Geburtstag wurde der Generalsekretär der Hisbollah, Hassan Abd al-Karim Nasrallah, am Freitag in deren Hauptquartier im Süden Beiruts durch israelische Bomben getötet. Der Angriff auf einen sechsteiligen Wohnblock forderte viele Opfer, darunter weitere Kader der schiitischen Organisation und praktisch ihre gesamte Führungsriege. Die Hisbollah ist durch den Tod ihres charismatischen Anführers führungslos und geschwächt. Aber auch der Iran ist gedemütigt. Nasrallah war der mächtigste schiitische Geistliche nach Irans Führer Chamenei. Sein Tod markiert eine Zäsur – nicht nur für den Libanon, wo nun ein Machtvakuum entstanden ist und die Regierung eine dreitägige Staatstrauer anordnete, sondern für die gesamte Region.

Nasrallah ist bereits der zweite Anführer der pro-iranischen Schiitenmiliz, den Israel aus dem Weg geräumt hat. Im Februar 1992 töteten israelische Kampfhubschrauber im Südlibanon den damaligen Generalsekretär der Hisbollah Abbas al-Musawi, als dieser mit seiner Frau und seinem 5-jährigen Sohn in einem Fahrzeug saß. Al-Musawi hatte die Karriere des damals 32-jährigen Nasrallah, der nur wenige Tage später das Amt als ranghöchster Funktionär der Hisbollah übernahm, entscheidend beeinflusst.

Die beiden Geistlichen hatten sich Mitte der siebziger Jahre im irakischen Nadschaf kennengelernt, wo sie bei dem einflussreichen schiitischen Gelehrten Muhammad Baqr as-Sadr studierten. Nasrallahs Familie stammte aus dem Südlibanon, dessen Schiiten über Jahrhunderte hinweg enge Beziehungen zu ihren Glaubensbrüdern im Irak und Iran pflegten. As-Sadr war ein Gesinnungsgenosse des iranischen Ayatollah Ruholla Chomeini, der von 1965 bis 1978 ebenfalls im Nadschaf im Exil lebte. Khomeini begeisterte die beiden jungen Libanesen für seine Vision eines islamischen Staates und einer islamischen Weltrevolution, die er nach der Revolution 1979 umsetzen sollte. In Nadschaf fand die gemeinsame Zeit der schiitischen Religionsgelehrten jedoch bald ein Ende. Als der irakische sunnitische Diktator Saddam Hussein begann, sie massiv zu verfolgen, gingen al-Musawi und Nasrallah Ende der siebziger Jahre zurück in den Libanon.

Nasrallah wurde 1960 in der libanesischen Stadt Tyros unweit seines Heimatdorfes Bazuriya als ältestes von neun Kindern eines Gemüsehändlers geboren. Schiitischer Aktivist wurde er schon in der Zeit, in der seine Familie in eines der ärmeren schiitischen Viertel Südbeiruts gezogen war, von dort aber vor Übergriffen der christlichen Milizen zu Beginn des Bürgerkriegs 1975 wieder in den Süden des Libanon floh. Mit nur 15 Jahren gehörte er zu den jugendlichen Anführern der libanesisch-schiitischen Amal-Bewegung in Tyros. Diese hatte der Exil-Iraner Musa as-Sadr – ebenfalls mit südlibanesischen Wurzeln – in der Küstenstadt ins Leben gerufen. Die Amal verhalf den Schiiten, die im von Christen und Sunniten dominierten Libanon gesellschaftlich und politisch marginalisiert waren, zu neuem Selbstbewusstsein.

Einer der Mitgründer der Hisbollah

Sie geriet allerdings in eine tiefe Krise, als Musa as-Sadr 1978 in Libyen unter ungeklärten Umständen verschwand. Nach 1979 spaltete sie sich, als Chomeinis libanesische Anhänger der Bewegung den Rücken kehrten – darunter auch al-Musawi und Nasrallah, der als Student in dessen Religionsschule in Baalbek bis dahin den dortigen Amal-Zweig geleitet hatte. Dort nahe der syrischen Grenze wurde in den nächsten Jahren libanesische Geschichte geschrieben. Im Sommer 1982 marschierte Israel in den Südlibanon ein, um die dort aktiven palästinensischen Kampforganisationen zu bekämpfen. Schon kurz darauf wurde die Stadt in der Bekaa-Ebene zu einem Stützpunkt des Iran: Teheran schickte über Syrien mehrere Hundert seiner Revolutionsgardisten dorthin, um sich dem Kreis der einheimischen Chomeinisten anzuschließen, aus dem schon bald die Hisbollah hervorging.

Neben seinem Mentor Abbas al-Musawi gehörte auch Nasrallah zu ihren Mitbegründern. Er fiel schon früh durch sein rhetorisches Talent auf. In der noch weitgehend klandestin operierenden Organisation war er zunächst für die Bekaa-Ebene zuständig. 1985 präsentierte sich die Hisbollah in Beirut der Öffentlichkeit offiziell mit einem Manifest, und Nasrallah betreute ihre dort schnell zunehmenden Aktivitäten. 1989 wurde er in den Schura-Rat, das höchste Gremium der Hisbollah, gewählt und fungierte auch als Vorsitzender ihres Exekutivrats. Als im Libanon Kämpfe zwischen der pro-syrischen Amal und der Hisbollah um die Vorherrschaft im schiitischen Lager ausbrachen, brach er sein erneut aufgenommenes Religionsstudium im iranischen Ghom ab. Diese Kämpfe dauerten bis 1990 an und behinderten teilweise den Kampf beider Milizen gegen die Israelis und die von ihnen aufgebaute Südlibanesische Armee (SLA).

Nachdem der innerschiitische Konflikt beigelegt war, übernahm der militärische Arm der Hisbollah, der sich Islamischer Widerstand nannte, die Führung im Kampf gegen die Besetzung des Südlibanon. Er konnte das, weil im zwischen den libanesischen Bürgerkriegsparteien ausgehandelten „Abkommen von Taif“ von 1989 nur der Hisbollah gestattet wurde, ihre Miliz weiter zu behalten. Schon mit der Tötung ihres damaligen Anführers Abbas al-Musawi hatte Israel vergebens versucht, den massiv zunehmenden Widerstand der vom Iran finanzierten und aufgerüsteten Schiitenmiliz zu brechen. Das Attentat habe aber nur das Gegenteil bewirkt und die Reihen noch enger geschlossen, sagte Nasrallah in einem seiner ersten Presseinterviews als Generalsekretär. Auf die Frage, ob die Hisbollah künftig ihren Kampf auch ins israelische Gebiet bis hin zur propagierten Befreiung Jerusalems tragen wolle, antwortete Nasrallah, dass dieses Ziel wie auch die Vernichtung Israels von Chomeini vorgegeben sei und als Fernziel bestehen bleibe.

Nüchtern konstatierte er jedoch, dass man sich über die Fähigkeit der eigenen Mudschahedin keine Illusionen mache. Deshalb müsse man gegen Israel die unkonventionellen Kampfmethoden eines Zermürbungskriegs anwenden, um es zu zwingen, sich aus dem Südlibanon zurückzuziehen. Zu diesen Methoden gehörten auch Selbstmordattentate, die der „Islamische Widerstand“ sehr kalkuliert und medial geschickt als Waffe einsetzte – Nasrallah selbst ließ sich auf Videos bei der Verabschiedung von Selbstmordattentätern mit inszenieren. Hunderte Guerilla-Aktionen und ebenfalls medial orchestrierte Überfälle auf SLA-Stellungen und israelische Patrouillen zwangen unter Nasrallahs Führung die israelischen Besatzer, im August 2000 aus dem Südlibanon abzuziehen.

Das Image als Nationalheld bröckelte mit der Zeit

Spätestens ab diesem Zeitpunkt galt Hassan Nasrallah im Libanon als Nationalheld. Seine Popularität wuchs in den Jahren zuvor aber noch aus einem anderen Grund: Unter seiner Führung schritt die Integration der Hisbollah in die libanesische Gesellschaft und Politik immer weiter voran. Sie baute ihre sozialen und medizinischen Einrichtungen kontinuierlich aus, formierte sich 1992 auch als Partei und zog ins Parlament ein. Dort agitierte sie in der Opposition gegen das konfessionelle Proporzsystem des Libanon. Schließlich schien sie dieses System aber doch zu akzeptieren, und beteiligte sich 2005 zum ersten Mal an einer Regierung. Noch frenetischer wurde Nasrallah als Held gefeiert, als Israel im Sommer 2006 mit Bodentruppen im Südlibanon einmarschierte, sich aber wegen hoher Verluste schon nach rund einem Monat wieder zurückzog. Die Hisbollah konnte seitdem weitgehend ungehindert weiter aufrüsten – auch, weil Syrien nach Abzug seiner Truppen aus dem Libanon 2005 deren Versorgung mit Waffen durch seinen Verbündeten Iran gestattete.

Den fortwährenden militärischen Widerstand gegen Israel konnte Nasrallah nicht nur mit der israelischen Besetzung der Schebaa-Farmen begründen, einer umstrittenen Zone entlang der östlichen Grenzlinie im Süden des Landes. Wie seit Beginn seiner Laufbahn als Politiker nutzte er auch jetzt die „Usurpation Palästinas“ als Rechtfertigung für Attacken auf israelisches Territorium in Zeiten, in denen der Konflikt zwischen Israel und den vom Iran unterstützten Milizen der islamistischen Hamas und des Islamischen Dschihad eskalierte.

Im Libanon verlor die Hisbollah im Mai 2008 massiv an Popularität, als ihre Milizionäre als Reaktion auf die versuchte Abschaltung ihres Kommunikationsnetzes kurzzeitig gewaltsam die Kontrolle über Westbeirut übernahmen und die Büros des anti-syrischen Medienkonzerns Al-Mustaqbal der einflussreichen sunnitischen Hariri-Familie niederbrannten. Von innerlibanesischer Kritik unbeeindruckt, ließ Nasrallah die eigene Miliz dann dem brutalen Assad-Regime im syrischen Bürgerkrieg zu Hilfe eilen.

Damit wuchsen die Zweifel am libanesisch-patriotischen Image, das Nasrallah für seine Bewegung all die Jahre aufgebaut hatte. Nach dem verheerenden Terrorangriff der Hamas und der mit ihr verbündeten Milizen am 7. Oktober 2023 verfestigte er den Eindruck, die Hisbollah sei nach wie vor ein vom Iran gesteuerter Fremdkörper – nicht nur durch die für ihn typische anti-israelische Rhetorik, sondern vor allem durch den massiven Beschuss Nordisraels mit Raketen und Drohnen. Nasrallahs Märtyrertum feiern seine Anhänger bereits als Teil der organisationseigenen „Karawane der Märtyrer“. Sein Amt dürfte bald ein anderer übernehmen, mit ähnlichen Parolen und Strategien – sie werden zumindest so lange gleich bleiben, wie sich in Teheran nichts ändert.

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