Familienbetrieb Le Pen steht vor Gericht

Marine Le Pen und ihr rechtsextremes Rassemblement National sollen über Jahre EU-Gelder in großem Stil unterschlagen und zweckentfremdet haben. Ein Schuldspruch könnte Le Pens Ambitionen, Präsident Macron zu beerben, vereiteln

Die EU als Selbstbedienungsladen? Für Marine Le Pen könnte es bei dem bevorstehenden Prozess ungemütlich werden Foto: ap

Aus Paris Rudolf Balmer

Mit „erhobenem Haupt und sauberen Händen“ versprach Jean-Marie Le Pen, der Gründer des rechtsextremen Front National (FN), in Frankreich Politik zu betreiben und für Ordnung zu sorgen. Diese moralische Devise für den Kampf gegen die Korruption beansprucht auch seine Tochter Marine Le Pen, die seit 2011 als Rechtspopulistin die Führung übernommen hat. Beide, Vater und Tochter, sind nun aber der Untreue, Unterschlagung öffentlicher EU-Gelder, des Betrugs und womöglich der Fälschung angeklagt. Der Prozess beginnt an diesem Montag in Paris.

Als juristische Person sind auch die Partei, die heute Rassemblement National (RN) heißt, sowie 25 Personen angeklagt. Es wird ihnen vorgeworfen, zwischen 2004 und 2016 mit EU-Mitteln, die eigentlich für die Bezahlung der parlamentarischen Assistenten in Brüssel und Straßburg dienen sollten, Aktivitäten und Mitarbeiter der französischen Partei finanziert oder Beihilfe dazu geleistet zu haben. Ein Untersuchungsbericht des Europäischen Amts für Betrugsbekämpfung (Olaf) hatte 2022 die Sache ins Rollen gebracht. Die Enthüllungen mutmaßlicher strafrechtlicher Vergehen wurden an die Öffentlichkeit und die französische Justiz weitergeleitet.

Was darin aufgrund von diskreten Hinweisen aufgedeckt wurde, droht ebenfalls ein schlechtes Licht auf das EU-Parlament zu werfen: „Olaf kommt zum Schluss, dass das Verhalten der vier (ehemaligen) Abgeordneten des Europäischen Parlaments (Jean-Marie Le Pen, Bruno Gollnisch, Louis Aliot und Marine Le Pen) dem Ruf der EU-Institutionen schadet.“ Die EU sei mit diesem System um 6,8 Millionen Euro erleichtert worden.

Politisch ist dieser Prozess ebenfalls von Bedeutung, denn es geht um die Institutionen der EU, die Subventionen für die EU-Abgeordneten und um die (fast) immer problematische Finanzierung der politischen Parteien. Im Fall eines Schuldspruch drohen der mehrfachen Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen, die auch bei den Wahlen von 2027 um die Nachfolge von Emmanuel Macron antreten will, bis zu zehn Jahre Haft, eine Million Euro Geldbusse und der Entzug des passiven Wahlrechts für mehrere Jahre!

Anders gesagt: Für die französische Rechtspopulistin, die sich ernsthafte Chancen auf einen Wahlsieg in zweieinhalb Jahren ausrechnen konnte, steht ihre politische Existenz auf dem Spiel. Es überrascht daher nicht, dass sie nicht nur in allen Tönen der Empörung ihre Unschuld beteuert, sondern auch im Voraus ihre Gegner bezichtigt, diesen Prozess aus hinterhältigen politischen Interessen, wenn nicht zu inszenieren, so doch instrumentalisieren zu wollen.

Wie die Anhänger des US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump, die sich von Verfahren und Urteilen gegen ihr Idol nicht beirren lassen, dürften Le Pens Stammwähler sich bei einer Verurteilung eher noch in ihrer Ansicht bestärkt fühlen, dass Marine Le Pen nicht das „Establishment“ und das institutionelle System Institutionen verkörpere und gerade darum attackiert werde.

Selbstverständlich publizieren dagegen ihr besonders feindlich gesinnte Medien wie Mediapart oder Politis im Voraus viele Details der Anklage und zudem eigene Recherchen, die angeblich belegen, dass diese illegale Parteifinanzierung auf Kosten der EU bereits ab 1989 existierte.

Für die Rechtspopulistin Le Pen steht ihre politische Existenz auf dem Spiel

In der Anklage sind zahlreiche Fälle aufgeführt. Vor allem wird der rechtsextremen Partei und ihrer Führung vorgeworfen, Mitarbeiter als Assistenten ihrer EU-Abgeordneten angestellt zu haben, die ganz oder fast ausschließlich für die Partei tätig waren und keine Aktivitäten im Zusammenhang mit dem EU-Parlament vorweisen können.

Es wird damit gerechnet, dass bei den Verhandlungen auch ehemalige Mitstreiter oder angestellte Parteifunktionäre mit ihren Aussagen die Anklagepunkte bestätigen. Ein ehemaliger Mitarbeiter von drei EU-Abgeordneten hatte bereits 2015 der EU-Administration belastende interne E-Mails zugespielt.

Marine Le Pen, die sich wie alle anderen Angeklagten auf die Unschuldsvermutung berufen darf, hatte bisher bestritten, von diesem System der Parteifinanzierung auf Kosten der EU etwas gewusst oder es gar organisiert zu haben. Ihr mitangeklagter 96-jähriger Vater Jean-Marie Le Pen ist wegen Altersschwäche von einer Abwesenheit im Gerichtssaal entbunden und wird durch eine andere seiner drei Töchter vertreten. Bei dieser Vergangenheitsbewältigung vor dem Richter sitzt eine Partei auf der Anklagebank, die lange Zeit wie ein politisches Familienunternehmen funktioniert hat.