Exekutiver Ungehorsam

Als wäre es ein Stück in Thüringen: Das von Maximilian Steinbeis konzipierte theatrale Planspiel „Ein Volksbürger“ zeigt, wie leicht die Demokratie zersetzt werden kann

Große Show als rechter Ministerpräsident: Fabian Hinrichs als Chef der fiktiven „Demokratischen Allianz“ Foto: Falk Wenzel

Von Tom Mustroph

Selten waren Bühnenspektakel und Politik so dicht beieinander. Im Thüringer Landtag zerlegte die AfD-Fraktion mit destruktiver Lust die konstituierende Sitzung. Und während man am Freitag noch auf die Entscheidung des Verfassungsgerichts wartete, skizzierte in Berlin im großen Saal der Bundespressekonferenz das Theaterstück „Ein Volksbürger“, was passieren kann, wenn Demokratieverächter tatsächlich durch Wahlen an die Macht kommen. Deutlich wurde in dem vom Verfassungsjuristen Maximilian Steinbeis konzipierten und von Regisseurin Nicola Hümpel inszenierten Planspiel im Format von Pressekonferenzen auch, wie hilf- und planlos Demokratieschützer wirken können, wenn die Gegenseite clever agiert.

Der neue Chef im Freistaat jedenfalls tritt furios auf: Nachts, unmittelbar nach gewonnener Wahl im heimischen Bundesland kommt er mit dem Fahrrad am Haus der Bundespressekonferenz an. Frischer Wind soll durch das Land wehen. Das suggeriert diese Inszenierung eines Politikseiteneinsteigers inmitten der Inszenierung dieses polit-juristischen Planspiels. Fabian Hinrichs, abgebrochener Jurastudent und Schauspielstar der alten Volksbühne, verkörpert den Chef der „Demokratische Allianz“. Die Initialien DA sind nicht zufällig dieselben des Parteigründers Dominik Arndt. Tja, was war eher da, das Bündnis mit den Initialen S & W oder diese fiktive DA?, sinniert man. Letztere hat gegenüber der Sahra-Truppe auf alle Fälle einen oratorischen Vorteil. „Wir sind DA“, ruft Hinrichs als Arndt aus, genüsslich das „DA“ als Hiersein, als Parteienkürzel sowie als Hinweis auf die eigene Person betonend.

Bollwerk gegen Rechts

Genügend DaDa steckt ebenfalls in seinem Auftritt. Arndt verkauft sich als Bollwerk gegen Rechts – die AfD landete bei dieser fiktiven Landtagswahl mit gut 10 Prozent lediglich auf dem dritten Rang, wie kurz ein Balkendiagramm beweist. Er macht aber ziemlich rechte Politik. Er organisiert administratives Versagen, um selbst Geflüchtete, die ihr Bleiberecht von Gerichten zugesprochen bekamen, aus dem Freistaat zu ekeln. Hier greift, not amused, die Bundesregierung ein und drängt auf Durchsetzung der Bundesgesetze. Das mündet in die ganz große Show von Arndt: Er sei kein Pudel, der sich von Gesetzen in seinem politischen Handeln einschränken ließe, sondern ein Ministerpräsident, der nur Volkes Wille umsetze.

Das ist die eine große Frage des Abends: Geht die Macht vom Volke aus, oder ist die Grundlage der Machtausübung die Verfassung? Was geschieht, wenn der Ruf nach Remigration, den die DA-Wähler*innen mit ihrem Kreuz auf dem Stimmzettel unterstrichen, mit den völkerrechtlich verbindlichen Gesetzen zum Schutz von bedrohten Menschen kollidiert?

Die zweite große Frage des Abends lautet: Wie umgehen mit einer Landesregierung, die ganz offen Gesetze missachtet? „Exekutiver Ungehorsam“ heißt diese Vorgehensweise im Stück. Beispiele dafür gibt es. Morgane Ferru als eine der Jour­na­lis­t*in­nen unterbricht kurz die Abfolge der Pressekonferenzen und erinnert an die Weigerung des bayrischen Ministerpräsidenten Markus Söder, einen Beschluss des Verwaltungsgerichts München in Sachen Dieselfahrverbot umzusetzen. Gegen die bayrische Landesregierung wurden deshalb sogar Zwangsgelder verhängt. Für eine Zwangshaft gegen Söder sah der Europäische Gerichtshof EuGH 2019 keine Handhabe, weil das im deutschen Rechtssystem nicht verankert sei.

Immerhin gibt es mit dem sogenannten Bundeszwang, Artikel 37 der Verfassung, ein Mittel, das es Bundesregierung und Bundesrat erlaubt, einen Beauftragten mit Unterstützung der Bundespolizei zur Durchsetzung der Bundesgesetze in einen abtrünnigen Gliedstaat zu schicken. Auch dafür gibt es historische Beispiele. 1932 entmachtete die damalige Reichsregierung den sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Preußens. Der hatte nach den Landtagswahlen desselben Jahres die Mehrheit verloren, Wahlsieger NSDAP (37 Prozent der Stimmen) und KPD (13 Prozent) verhinderten die Bildung einer neuen Landesregierung. Es gab Krawalle und Straßenschlachten, bis ein Jahr später die Nationalsozialisten ganz die Macht ergriffen. „Ein Volksbürger“ rückt das Berlin des Jahres 1932 und das Erfurt des Jahres 2024 in gespenstische Nähe.

Arte zeigt einen TV-Mitschnitt der Aufführung auf Youtube und Arte.tv