Neuer Kinofilm „Joker, Folie à deux“: Die Songs seiner Fantasie

Todd Phillips setzt seinen Erfolgsfilm „Joker“ fort. „Joker: Folie à deux“ mit Joaquin Phoenix und Lady Gaga empfiehlt sich als Superschurken-Musical.

Ein Mann küsst durch Gitterstäbe eine Frau

Liebe auf den ersten Blick zwischen Lee Quinzel (Lady Gaga) und Arthur Fleck (Joaquin Phoenix) Foto: Niko Tavernise/Warner

Am spannendsten ist Kino dann, wenn es einen Dialog gibt zwischen der Welt auf der Leinwand, in die man sich hineinversetzt, und der Welt da draußen, in der man zurechtkommen muss, egal wie sehr man sich mit ihr identifiziert. Dabei sind es oft gerade nicht die rea­listischen Filme, die diesen Dialog besonders fesselnd gestalten, sondern jene mit mehr Fantasie.

Filme, die ihre eigene Welt bauen, wie eben auch die Superhelden-Adaptionen. Die Fallhöhe zwischen Realität und Metapher, das produktive Nichtverstehen zwischen Alltag und Fantasy stachelt die Neugier an, setzt die Gedanken in Fluss. Manchmal muss der Film selbst gar nicht besonders herausragend sein.

„Joker: Folie à deux“. Regie: Todd Phillips. Mit Joaquin Phoenix, Lady Gaga u. a. USA 2024, 138 Min. Ab 3. 10. 24 im Kino

Todd Phillips’ „Joker“ von 2019 gibt dafür ein gutes Beispiel ab: Er war nicht nur ein Erfolgsfilm mit einem weltweiten Kassenergebnis von über einer Milliarde Dollar; er stieß auch auf viel Ablehnung, löste unangenehme Gefühle aus und verletzte bestimmte politische Empfindsamkeiten.

Inspiriert von „Taxi Driver“

Die Welt des Films, das Gotham City des DC-Comic-Universums, war sichtlich inspiriert vom New York der Martin-Scorsese-Filme „Taxi Driver“ und „The King of Comedy“ und repräsentierte damit eine 80er-Jahre-Vorstellung der US-amerikanischen Gesellschaft als von Umbrüchen, Vernachlässigung und Gewalt geprägt. Der Joker selbst, verkörpert von Joa­quin Phoenix, war hier nicht der anarchisch-unheimliche Trickster-Clown, der als letzter lacht, sondern ein traumatisiertes Häufchen Elend namens Arthur Fleck, das beginnt, Leute zu erschießen, die seinen Humor nicht ver­stehen.

Im Film wird er dank seiner Verbrechen zum Idol einer Menge, die in ihm den Rebellen gegen das Establishment sieht, einen Rächer der Erniedrigten und Beleidigten. Erst die unvermutete Zustimmung, die Arthur Fleck erfährt, lässt ihn sein Alter Ego als manischer Joker so richtig annehmen.

Es perfektioniert sich ein Teufelskreis der Fehldiagnosen: Arthurs Taten sind eigentlich Ausbund von Trauma und Hilflosigkeit; Gothams Einwohner haben Gründe für ihren Elitenhass, jubeln mit dem Joker aber einem missverstandenen Idol zu; der Joker selbst wiederum sieht sich in seinen schlimmsten Impulsen bestärkt.

Man könne ihn ohne weiteres als Schutzpatron der Incels verstehen, schrieb Time-Kritikerin Stephanie Zacharek über den Joker in ihrer Rezension – und verlieh damit einem verbreiteten Gefühl des Unwohlseins Ausdruck. Denn auch wenn offensichtlich war, dass Joaquin Phoenix’ Joker keinen positiven Helden darstellen sollte, ging vielen doch zu weit, wie Regisseur Phillips seinen Antihelden im Zentrum feierte beziehungsweise feiern ließ.

Das Monster tanzte

Wie er da zum Takt von Gary Glitters „Rock and Roll Part 2“ die eine Treppe hinuntertanzt – wirkte das nicht nachgerade wie die filmästhetische Affirmation dieses doch eigentlichen Monsters? Und befanden sich unter den Millionen von Ticketkäufern nicht auch solche, die „Joker“ aus den „falschen“ Gründen für einen guten Film hielten?

Man muss sich gar nicht auf eine Seite schlagen, um anzuerkennen, dass „Joker“ als Film die Trump-Ära einleuchtender auf den Punkt brachte als viele andere Filme, die sich vor allem satirisch am damaligen US-Präsidenten abarbeiteten. Das Erfolgsrezept lag im Abseitigen: Was zunächst nichts mit Trump und der Gegenwart zu tun haben schien – die „Taxi Driver“-Filmästhetik, der DC-Superheldenstoff – erwies sich als treffender Genre-Mix, um etwas über Verblendung, Traumata und die Fallstricke des Populismus zu erzählen.

Beim Vorbeigehen entdeckt er in einer Anstalts-Chorgruppe Lee (Lady Gaga), die ihn provozierend anlächelt

Als Phillips für die Fortsetzung seines Films einen fast noch abseitigeren Genremix ankündigte – Musical und Superhelden! –, machte das sowohl neugierig als auch besorgt. Einerseits leuchtete es als logischer Anschluss an die erwähnte Treppenszene ein, denn der arme Arthur entdeckte in seiner zweiten Identität als Joker ja erst sein Talent zum geborenen Entertainer. Andererseits: Singen und tanzen im düsteren Gotham-Universum, ist das nicht die ultimative Glorifizierung einer dystopischen Weltsicht?

Bugs Bunny als Joker im Intro

Beginnen lässt Phillips seinen „Joker: Folie à deux“ dann noch einmal mit etwas ganz anderem: Vom Animations-Regisseur Sylvain Chomet („Das große Rennen von Belleville“) hat er sich im Stil der „Looney ­Tunes“ ein Intro zeichnen lassen. Darin sieht man Bugs Bunny als Joker, wie er langbeinig über einen roten Teppich schreitet, während sich sein Schatten widerspenstig von ihm absentiert, woraus ein Gerangel wird. Das Stück besitzt als Hommage an den Stil der 1940er-Animation großen Charme, kündigt mit dem im Rampenlicht stehenden Helden, der mit seiner geheimen Identität kämpft, das Thema des folgenden Films geradezu überdeutlich an.

Die Handlung schließt unmittelbar an die Ereignisse von „Joker“ an. Wieder von Joaquin Phoenix gespielt – noch ein bisschen ausgemergelter und traumatisierter wirkend als 2019 –, sieht man Arthur Fleck, wie er von bulligen Wächtern durch die siffigen Flure des „Arkham Asylum“, der fiktiven psychiatrischen Haftanstalt von Gotham City, geschleift wird. Hier erwartet er seinen Prozess, bei dem Staatsanwalt Harvey Dent (Harry Lawtey) die Todesstrafe fordert.

Witze erzählt der Möchtegern-Comedian keine mehr, obwohl ihn Gefängniswärter und Mithäftlinge täglich dazu auffordern. Besucht wird er von seiner Anwältin (Catherine Keener), die ihn mit der Strategie verteidigen will, nicht er, der schon als Kind misshandelte Arthur, sondern eine abgespaltene Persönlichkeit in ihm habe die Verbrechen begangen. Beim Vorbeigehen entdeckt er in einer Anstalts-Chorgruppe Lee (Lady Gaga), die ihn provozierend anlächelt. Es ist Liebe auf den ersten Blick.

Tanzen zu „To love somebody“

Was im Weiteren passiert, ist gar nicht so leicht zu beschreiben: Während der Prozess seinen Verlauf nimmt, mit allerhand Zeugen, denen man im ersten Film bereits begegnete, stürzen sich Arthur und Lee in eine Affäre, die zum großen Teil aus Imaginationen alter Filme zu bestehen scheint. Statt in misslingenden Stand-up-Jokes drückt sich Arthur nun in Songs aus dem Repertoire des amerikanischen Entertainments aus. Aus ihm und Lee wird mal das tanzende Paar Ginger und Fred – „That’s Entertainment!“ – und mal singen sie als Sonny und Cher den Bee-Gees-Song „To Love Somebody“.

Die Musical-Nummern, die sich in der Tonlage von trauervollem Abgesang auf die Welt alle sehr gleichen, übernehmen die Funktion innerer Monologe, und wer den Songtexten lauscht, wird eine gewisse Überdetermination entdecken, die schon dem ersten Joker bei aller Anarchie zu einem etwas beschwerlichen Film machte. Es hat alles immer ein bisschen zu viel Bedeutung. „(They Long to Be) Close to You“ singt Lee bei einem Besuch bei Arthur. Oder für sich irgendwann „If My Friends Could See Me Now“.

Trotz der vielsagenden Songtexte gelingt es Lady Gaga nicht wirklich, ihrer Figur und deren Entwicklung von Lee Quinzel zu Harley Quinn Profil verleihen. Was weniger an der Schauspielerin liegt, als an einem Drehbuch, das vermeintlich tiefer, aber nicht zu weit gehen will. Auch Joaquin Phoenix vermag seinem Identitätskonflikt als Arthur/Joker kaum neue Facetten abgewinnen, da kann die Introspektion noch so ausgesucht Musical- und filmhistorisch inspiriert sein. Denn in einem sieht man diesem Film den Dia­log mit der Wirklichkeit vor allem an: im Bemühen, diesmal auf keinen Fall Beifall von der falschen Seite bekommen zu wollen.

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