Sahra Wagenknecht und der Pazifismus: Heißer Krieg und Kalter Frieden

„Soldaten sind Mörder!“ Wirklich? Pazifismus kennt ein militärisches Notwehrrecht. BSW und AfD sprechen bei der Ukraine jedoch von „Kriegstreiberei“.

Jugendliche in Militäruniform- rotes shirt und Kappe, braune Hosen marschieren im Gleichschritt vor einem Gebäude

Ausbildung zum Patriotismus: Jugendliche in einer Kadettenanstalt in Moskau 2023 Foto: Nanna Heimann/The New York Times/laif

„Da gab es vier Jahre lang ganze Quadratmeilen Landes, auf denen war der Mord obligatorisch, während er eine halbe Stunde davon entfernt ebenso streng verboten war. Sagte ich: Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder.“ Dies schrieb der deutsche Publizist Kurt Tucholsky provokativ in einer seiner berühmten Glossen 1931 in der Zeitschrift Die Weltbühne.

Tucholskys Zeilen bezogen sich auf den Ersten Weltkrieg. Der kostete in den vier Jahren von 1914 bis 1918 etwa 17 Millionen Menschen das Leben. Die alten imperialen Mächte, das Deutsche, das Österreichische oder das Russische Kaiserreich hatten ihre Untertanen gegeneinander gehetzt, um Macht und Territorien zu festigen, während sie es sich selber, gut gehen ließen.

„Soldaten sind Mörder.“ Die Provokation sollte im Jahre 1931 den preußischen Militarismus sowie die Nationalsozialisten treffen. Tucholsky lebte da bereits im schwedischen Exil.

Das von Tucholsky angesprochene Milieu sollte acht Jahre später den Zweiten Weltkrieg vom Zaun brechen. Dieses Mal gab es bis zu 80 Millionen Opfer zu beklagen. Tucholsky hatte nicht bestritten, sich gegen einen Angriffskrieg oder eine Vernichtungsabsicht zur Wehr setzen zu dürfen. Sein Pazifismus wollte ungerechte Angriffe verhindern.

Erziehung zum Frieden

Auch andere Pazifistinnen wie Bertha von Suttner, 1905 mit dem Friedensnobelpreis geehrt, forderten eine umfassende Erziehung zum Frieden, damit erst gar keine Kriege ausbrechen. Es ging weniger um das Verteidigungsrecht, als Angriffe zu verhindern.

Imperial agierende Mächte neigen schließlich dazu, die angenommene militärische Unterlegenheit von Nachbarstaaten als Einladung zum Überfall zu begreifen. Der Pazifismus wollte im Inneren solcher Imperien solche Haltungen schwächen. Der russischen Friedens- und Demokratiebewegung ist dies aktuell nicht gelungen, wie sich mit dem Überfall von Putins Russland auf die Ukraine zeigen sollte.

Pazifismus und Antimilitarismus der Linken waren vor den ersten beiden Weltkriegen stark mit letztlich radikaldemokratisch gedachten Utopien verbunden. Von der Hoffnung nach einer zu verwirklichenden klassenlosen Weltgesellschaft.

Pascal Beucker zitiert in seinem Buch „Pazifismus ein Irrweg?“ beispielhaft die Losung des Internationalen Sozialistenkongress von 1893: „Der Sturz des Kapitalismus ist der Weltfriede.“

Weltfrieden und Kommunismus

Die Demokratien des Westens gelten im Milieu der Wagenknecht-Anhänger:innen als Chiffre für einen allmächtig angenommenen Kapitalismus amerikanischer Prägung

Auch Rosa Luxemburg glaubte daran. Die Hoffnungen schrumpften erst nach der russischen Oktoberrevolution von 1917 und der Realität kommunistischer Staaten. Von Moskau bis Peking sollten Ein-Parteien-Dikaturen entstehen, oftmals repressiver und nationalistischer als jede noch so kapitalistische Demokratie.

Auch der Hitler-Stalin-Pakt gehört in dieses Kapitel, als Nazi-Deutschland und Sowjet-Russland 1939 einen kurzzeitigen Nichtangriffspakt schlossen, um sich so gemeinsam Polen aufzuteilen.

Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurden im Namen der Gleichheitsidee des Kommunismus begangen wie im Namen der Ungleichheitstheorien des Faschismus. Dennoch sind sie voneinander zu unterscheiden, aber man muss doch beide benennen. Putins Herrschaftsdoktrin bedient sich schließlich an beiden.

Rosa Luxemburg formulierte vor dem Ersten Weltkrieg, was in Teilen einer nostalgischen Linken bis heute nachzuhallen scheint.

„Die Friedensfreunde aus bürgerlichen Kreisen glauben,“ schrieb sie 1911, „dass sich Weltfriede und Abrüstung im Rahmen der heutigen Gesellschaftsordnung verwirklichen lassen, wir aber, die wir auf dem Boden der materialistischen Geschichtsauffassung und des wissenschaftlichen Sozialismus stehen, sind der Überzeugung, daß der Militarismus erst mit dem kapitalistischen Klassenstaate zusammen aus der Welt geschafft werden kann.“

Logik der Umkehrung

DDR-Bürger:innen sind mit solchen zu Floskeln geronnenen Lehrsätzen später aufgewachsen. Geradezu satirisch präsentierten sie sich in dem militaristisch durchorganisierten Alltag des SED-Regimes. Doch wie man an den Wahlerfolgen der Politikerin Sahra Wagenknecht und des BSW sehen kann, lässt sich mit Anklängen an den alten Jargon heute wieder kräftig punkten.

Wagenknecht verbreitet dabei, Putin habe die Ukraine wohl nur angegriffen, weil er sich vom kapitalistischen Westen umzingelt fühlte. Es riecht nach einer Logik der Umkehrung. Die Demokratien des Westens gelten im Milieu der Wagenknecht-Anhänger:innen als Chiffre für einen allmächtig angenommenen Kapitalismus amerikanischer Prägung.

Auf den jüngsten Wahlplakaten ließ Wagenknecht nebst ihrem lächelnden Konterfei drucken: „Diplomatie statt Kriegstreiberei“. Wer im Falle der Ukraine die Kriegstreiber sein sollen, ist bei ihr klar. Amerikaner, Nato, Bundesregierung, Olaf Scholz, Robert Habeck, Annalena Baerbock – alle, die der überfallenen Ukraine beistehen und Waffen liefern.

Ein Notwehrrecht gegen Angriffe und Angriffskriege erkannten sogar die meisten Pazifisten in der Vergangenheit an. Bei Wagenknecht klingt es generell anders.

Wagenknechts Diplomatie

Sie ignoriert dabei großzügig, dass der Aggressor Putin keine Diplomatie will, solange er militärisch im Vorteil ist. Die Ukraine soll vollständig kapitulieren. „Unterwerfung statt Selbstverteidigung“ müsste es auf den BSW-Plakaten heißen.

Wagenknecht ist auch keine Pazifistin. Und die Welt würde kein wenig sicherer, würde man die Ukraine im Stich lassen. Dennoch gelang es ihr dank medialem Hype, digitalem Populismus und Anrufung der alten Westfeindlichkeit auch eine gewachsene sozialdemokratische Partei wie Die Linke aus dem Weg zu räumen.

Und nebenbei den Chor derer zu verstärken, die wie die Rechtsextremisten von der AfD die Demokratie gerne gänzlich zum Einsturz brächten. BSW und AfD vereinen im Osten etwa 50 Prozent der Stimmen.

Neben der Ukraine- gelingt diese Mobilisierung derzeit hauptsächlich durch die Radikalisierung der Migrationspolitik. Ein großer Teil der Flüchtlinge – etwa 1,2 Millionen – stammt tatsächlich aus der von Putin bombardierten Ukraine. Ähnliche Mengen hatte er zuvor mit seiner Luftwaffe schon in Syrien mit produziert, etwas weiter weg von Europa.

AFD-Träume vom Bürgerkrieg

Noch weniger Skrupel als das „linke“ BSW hat in vielen Fragen nur die AfD. Rechtsextremistische Landtagsabgeordnete wie Lena Kotré sehnen offenbar den Bürgerkrieg herbei. Im Brandenburger Wahlkampf verteilte die gelernte Rechtsanwältin Metallstifte, die als Stichwaffen einzusetzen sind.

In Video-Clips spricht sie von einer „Abschiebe-Industrie“, ruft dazu auf, „wehrhaft“ zu sein. So gewinnt man heute im Osten die Direktmandate. Im Look bürgerlich, blond und fesch, Remigration singend bei Aperol Spritz. Ihre Wäh­le­r:in­nen haben von den Mordtaten des NSU anscheinend noch nie etwas gehört.

Von Rechtsextremisten und Nazis durfte man noch nie eine pazifistische oder in Ansätzen humanistische Haltung erwarten. Ebenso wenig von Autokraten wie Putin, der völkisch-arabischen oder der islamistischen Szene. Putin lässt seine Truppen immer wieder Kriegsverbrechen begehen, Videos davon werden öffentlich gepostet.

Nicht anders machen es andere Feinde der Demokratien wie Hamas oder Hisbollah. Die Terroristen der Hamas filmten ihre Schandtaten am 7. Oktober und verbreiteten sie zum Teil medial. Die Massaker vom 7. Oktober sollten Symbol der beabsichtigten Auslöschung ganz Israels sein.

Angegriffene Demokratien

Auch wer wie der israelische Autor Amir Tibon, für einen humanen Umgang im Miteinander wirbt, pazifistisch orientiert sein mag, wird jene wachsam im Auge behalten, die einen ermorden wollen. Wer für Pazifismus wirbt, hat es noch lange nicht in der Hand, wie die Nachbarn reagieren. In einer Veranstaltung in Berlin stellte Tibon sein Buch „Die Tore von Gaza“ vor. Tibon verbindet darin das Erleben des Überfalls mit einer scharfen Analyse der israelischen Gesellschaft.

Im Gespräch mit Suhrkamp-Verleger Jonathan Landgrebe schilderte Tibon sehr eindrücklich, wie er mit seiner Familie den Überfall der Hamas am 7.10. durch glückliche Umstände überlebte, im Schutzraum ihres Hauses im Kibbuz Nahal Oz. Wie viele Israelis kritisiert er die israelische Rechte dafür, dass sie die Nation gespalten und geschwächt hat – und so die Feinde Israels zum Überfall ermutigt habe. Die israelische Demokratie habe aber, sagt Tibon, nur eine Überlebenschance, so die Nation geeint bleibe und auch die internationale Unterstützung nicht verliere.

Was Tibon formuliert, gilt abstrakt gesprochen für alle Demokratien. Sie können sich nur behaupten, sofern sie sich im Inneren nicht spalten lassen und einen respektvollen Umgang untereinander pflegen. Grundsätzlich pazifistisch eingestellte Personen, Gesellschaften und Staaten müssen sich jedoch dennoch aggressiven Angriffen auf ihre Verfasstheit erwehren können. Wenn es sein muss, auch militärisch.

Putins Soldaten sind Mörder, sofern sie sich dem russischen Angriffskrieg und seinen Verbrechen hätten entziehen können. Ukrainische Soldaten sind es nicht, sofern sie sich bei der Verteidigung an das Kriegsvölkerrecht halten.

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