Kein bisschen Frieden

Die Friedensbewegung steckt in einer Krise. Eine geplante Demonstration am 3. Oktober wird ausgerechnet von der traditionsreichsten deutschen Friedensorganisation nicht unterstützt – auch wegen Sahra Wagenknecht

Von Pascal Beucker

Tag für Tag mordet die russische Soldateska in der Ukraine. Die Lage für die Menschen in dem geschundenen Land wird immer prekärer. Auch nach mehr als zweieinhalb Jahren ist ein Ende von Putins Krieg nicht absehbar.

Wenn einer Bundesregierung dazu nicht viel mehr einzufallen scheint, als die Parole auszugeben, Deutschland müsse „kriegstüchtig“ werden, dann wäre es eigentlich Zeit für eine starke Friedensbewegung. Aber die Zeiten sind kompliziert geworden. Der Krieg in der Ukraine hat auch die Friedensbewegung in Trümmer gelegt.

Für den 3. Oktober ruft die Ini­tiative „Nie wieder Krieg – Die Waffen nieder“ zu einer großen bundesweiten Friedensdemonstration in Berlin auf. Das Motto klingt verheißungsvoll: „Nein zu Krieg und Hochrüstung! Ja zu Frieden und internationaler Solidarität!“ Aber mit Sahra Wagenknecht als Hauptrednerin? Ausgerechnet die tradi­tions­reichste deutsche Friedensorganisation verweigert der Demo ihre Unterstützung. Die Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), deren Vorläuferin 1892 von der Pazifistin Bertha von Suttner gegründet wurde, übt scharfe Kritik an den Ver­an­stal­ter:in­nen. „Wir wollen keine Leute zu einer Demons­tration herbeischaffen, die wir ­inhaltlich nicht mitgestalten können und deren Aufruf geprägt ist vom Fehlen von für uns elementaren Inhalten und Forderungen“, sagt Michael Schulze von Glaßer, der politische Geschäftsführer der DFG-VK.

Die letzte große Friedensdemo fand am 27. Februar 2022 statt. Das Erschrecken über den russischen Überfall auf die Ukraine trieb bis zu 500.000 Menschen in Berlin auf die Straße. Es hatte ein breites Bündnis aufgerufen: von „klassischen“ Friedensorganisationen wie der DFG-VK oder Pax Christi über Gewerkschaften bis zu Naturschutzverbänden und der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). „Wir fordern die russische Regierung auf, sofort alle Angriffe einzustellen, sich aus der Ukraine zurückzuziehen und deren territoriale Integrität wiederherzustellen“, hieß es in seinem Aufruf. Das war der gemeinsame Nenner.

Was im Demoaufruf fehlt

Dass es diesen gemeinsamen Nenner für die jetzt geplanten Demo nicht gibt, ist das Pro­blem. Im zentralen Aufruf wird nicht einmal mehr benannt, wer wen angegriffen hat. Das hätte ja schon in früheren Aufrufen gestanden, begründet das Reiner Braun, einer der Or­ga­ni­sa­tor:in­nen. „Wir müssen nicht jeden Satz in jeden Aufruf schrei­ben.“ Und warum fehlt die Forderung nach einem Rückzug der russischen Truppen? Sie seien für eine „Verhandlungslösung“, da habe man sich nicht festlegen wollen.

Eine eigentümliche Antwort. Bei früheren Kriegen war es gar keine Frage, was die Friedensbewegung fordert, etwa „Amis raus aus dem Irak!“. Was auch sonst? „Wir hatten damals eine ganz andere historische Situation, eine ganz andere Vorgeschichte zu diesem Krieg“, findet Braun. Das stimmt: Es ging um die USA, jetzt geht es um Russland.

Die Kontakte reichen bis in die Szene der Corona­leugner:in­nen

Aus nur zehn Personen besteht die Initiative, die die Demo am 3. Oktober offiziell veranstaltet. Der Kreis um Braun und den mittlerweile 77-jährigen Willi van Ooyen stammt aus der traditionellen Friedensbewegung. 1966 lief van Ooyen das erste Mal bei einem Ostermarsch mit; 1980 gehörte er zu den Ini­tia­tor:in­nen des Krefelder Appells gegen den sogenannten Nato-Doppelbeschluss. Später war er Fraktionschef der Linken im hessischen Landtag.

Vom Krefelder Appell, den einst mehr als vier Millionen Menschen unterzeichneten, und den großen Friedensdemos Anfang der 1980er Jahre schwärmt auch Reiner Braun bis heute. Von 2013 bis 2019 Co-Präsident des Internationalen Friedensbüros (IPB) in Genf, gilt der mittlerweile 71-Jährige als der Kopf der Gruppe, für die er auch auf der Abschlusskundgebung sprechen soll. Braun hat einen fragwürdigen Ruf. Kri­ti­ker:in­nen werfen ihm eine zwielichtige Politik von Bündnissen hinein ins verschwörungsideologische Milieu vor. So umwirbt er die Co­ro­nal­eug­ne­r:in­nen­sze­ne um Querdenken-Gründer Michael Ballweg, die sich als „neue Friedensbewegung“ sieht.

Das dürfte nicht der einzige Grund sein, warum in dem Demoaufruf die Forderung der DFG-VK nach „Schutz und Asyl für alle Menschen, die dem Krieg entfliehen wollen“, keine Berücksichtigung gefunden hat. Die Mehrzahl der Ver­an­stal­te­r:in­nen sympathisiert mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht oder ist Mitglied der neuen Partei, etwa die Berliner BSW-Landesgeschäftsführerin Wiebke Diehl, die Brandenburger Kreistagsabgeordnete Rita-Sybille Heinrich oder der Gewerkschaftssekretär Ralf Krämer. Bereits im Februar 2023 organisierte der Kern der Ini­tia­tive eine von Wagenknecht und Alice Schwarzer initiierte Friedensdemo in Berlin mit bis zu 29.000 Teilnehmer:innen. Zu einer Nachfolgedemo im November 2023 kamen etwa 10.000 Menschen – ebenfalls mit Wagenknecht als Hauptrednerin.

Diesmal bemühen sich die Ver­an­stal­te­r:in­nen, pluralistischer zu erscheinen. Die Friedensbewegung lebe „von ihrer Vielfalt und Pluralität“ und davon, „dass sie mit ganz unterschiedlichen Positionen leben kann“, sagt Braun. Kritik sei „ein Lebenselixier der Friedensbewe­gung“. Die Kritik der DFG-VK tut er bissig ab: „Man kann vielleicht auch mal die Frage stellen, wie weit abgehoben der Bundesvorstand der DFG-VK ist.“ Die große Mehrheit der Landes- und Ortsverbände unterstütze die Demo. „Keine Ahnung, woher Herr Braun die Zahlen hat“, kommentiert das Michael Schulze von Glaßer.

Nicht geklappt hat jedenfalls, neben Wagenknecht auch prominente DFG-VKler:innen als Red­ne­r:in­nen zu gewinnen: Sowohl Bundessprecher Jürgen Grässlin als auch die Ex-EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann und der Publizist Andreas Zumach lehnten ab. Dass die Änderungswünsche der DFG-VK in den zentralen Demoaufruf nicht aufgenommen wurden, finde er ebenso falsch wie den Auftritt von Wagenknecht, sagt Zumach, der ehemalige UN-Korrespondent der taz. Auch der frühere EU-Kommissar Günter Verheugen sagte ab. Gewonnen werden konnte dafür der nationalkonservative CSU-Politiker Peter Gauweiler, ein Freund der Eheleute Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine.

Ein Coup ist den Ver­an­stal­ter:in­nen dafür mit dem SPD-Bundestagsabgeordneten Ralf Stegner gelungen. Dass er auf der Abschlusskundgebung sprechen werde, sei aber nicht als ein gemeinsamer Auftritt mit Wagenknecht zu verstehen, versichert Stegner der taz. „Ganz sicher“ werde er „nicht Arm in Arm mit ihr John-Lennon-Lieder singen“. Anders als Wagenknecht, die de facto die Kapitulation der Ukraine wolle, sei er sehr wohl dafür, dass sich das angegriffene Land verteidigen könne. Deswegen lehne er auch weder die humanitäre noch die militärische Unterstützung der Ukraine ab und teile die Kritik an dem zentralen Aufruf. „Für mich ist der sozialdemokratische Aufruf maßgeblich, den ich selbst mitformuliert habe, und der sieht anders aus“, sagt er.

Kinder strecken Stöcke mit Friedenssymbolen daran in die Luft, im Hintergrund ist die Siegessäule in Berlin zu sehen

Zur letzten großen Friedens­demonstration, gegen den Einmarsch Russlands in die Ukraine, kamen im Februar 2022 noch 500.000 Menschen nach Berlin Foto: Fo­to: S­te­fan Boness

Die SPD setzt eigene Akzente

Von dem Aufruf der Ver­an­stal­te­r:in­nen hebt sich der Aufruf der SPD-Mitglieder tatsächlich deutlich ab. Der Überfall Russlands auf die Ukraine sei „durch nichts zu rechtfertigen“, heißt es darin. Und: „Die Ukraine muss sich gegen diesen Überfall verteidigen, verteidigen können und dürfen!“ So gehe es „natürlich um einen Frieden, der die Souveränität der Ukraine wahrt und nicht Aggressoren wie Putin belohnt, Grenzen mit Gewalt verschieben zu wollen“. Zu den Un­ter­zeich­ne­r:in­nen gehören der frühere SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans, der Bundestagsabgeordnete Axel Schäfer, die ehemalige NRW-Wissenschaftsministerin Anke Brunn sowie der Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse.

„Die SPD war immer Teil der Friedensbewegung, das muss auch so bleiben“, sagt Stegner. Entscheidend sei, dass die Ver­an­stal­te­r:in­nen unmissverständlich klargestellt hätten, dass Faschist:innen, Ras­sis­t:in­nen und An­ti­se­mi­t:in­nen nicht geduldet würden. Ansonsten sei die Friedensbewegung schon immer pluralistisch gewesen, das müsse man aushalten. „Wenn wir die Friedensbewegung den Populisten überlassen, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn bei den Wahlen – wie jetzt in Sachsen, Thüringen und Brandenburg – so viele Leute Populisten und Rechtsradikale wählen“, sagt Stegner, der seinen Auftritt mit SPD-Bundestagsfraktionschef Rolf Mützenich abgesprochen hat.

Auch die Linkspartei ruft zu der Demo auf. Für sie soll die Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch sprechen. „Leerstellen in einem Bündnisaufruf sollten kein Grund für eine generelle Verweigerung der Teilnahmen sein“, sagt Linke-Bundesgeschäftsführer Ates Gürpinar. „Wir mobilisieren mit einem eigenen Aufruf, in dem wir deutlich machen, dass russische Truppen in der Ukraine nichts zu suchen haben und unverzüglich abziehen müssen“, so Gürpinar zur taz. „Das werden wir auch auf der Demonstration deutlich machen.“ Mit den Or­ga­ni­sa­to­r:in­nen teile man jedoch „die Intention, gegen die enorme Aufrüstung und die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen zu protestieren, sowie die Forderung nach einem Frieden in der Ukraine und stärkeren diplomatischen Bemühungen“.