AfD im Thüringer Landtag: Ein Eklat folgt auf den anderen​

Die erste Sitzung in Thüringen endet im Chaos. Weil der AfD-Alterspräsident die Verfassung gebrochen habe, ruft die CDU nun das Verfassungsgericht an.

Die parlamentarischen Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer der Fraktionen im Thüringer Landtag versammeln sich zur Beratung um das Pult des Sitzungsleiters

In der zweiten Unterbrechung diskutierten die parlamentarischen Ge­schäfts­füh­re­r:in­nen darüber, wie es weitergehen soll Foto: Martin Schutt/dpa

Erfurt taz | Es war laut im Thüringer Landtag. Ein Wortgefecht folgte auf das nächste, dazwischen unterbrachen nur kurze Pausen die erste Sitzung des Parlaments an diesem Donnerstag. Bis der CDU-Generalsekretär Andreas Bühl nach vier Stunden verkündete, seine Fraktion wolle das Thüringer Verfassungsgericht anrufen, weil der 73-jährige Alterspräsident Jürgen Treutler (AfD) mehrfach die Verfassung gebrochen habe. Vom Gericht wird eine schnelle Entscheidung erwartet. Die Konstituierung des Landtags soll am Samstag um 9 Uhr fortgesetzt werden.

Für gewöhnlich sind solche Konstituierungen eher Formsache, die 88 neugewählten Abgeordneten treffen sich und wählen ei­ne:n Landtagspräsident:in. Dieses Mal war es anders. Schon der erste Tagespunkt zog sich über drei Stunden: die Rede des Alterspräsidenten Jürgen Treutler von der AfD. Dabei folgte ein Eklat auf den anderen.

Neben der CDU warfen auch das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), die SPD und die Linke dem Alterspräsidenten vor, er beschränke ihre verfassungsmäßigen Rechte als Abgeordnete. Er habe ihnen das Wort abgeschnitten, Geschäftsordnungsanträge ignoriert und versucht, Debatten zu unterbinden.

Auch wenn Treutler behaupte, die Geschäftsordnung zu achten, ignoriere er sie, so der Vorwurf. Mehrfach hatte Treutler zum Beispiel versucht, Po­li­ti­ke­r:in­nen der anderen Fraktionen die Mikrofone abzustellen. „Sie missachten unsere Rechte als Abgeordnete“, warf ihm Janine Merz (SPD) vor. Mit seinem Agieren verhindere der AfD-Politiker die Selbstbestimmung des Parlaments. „Sie erklären dieses Parlament für unmündig“, kritisierte zum Beispiel BSW-Geschäftsführer Thilo Kummer.

„Was Sie hier treiben, ist Machtergreifung“

Was Treutler damit bezwecken wollte, hatte die AfD schon vor der Sitzung öffentlich bekannt gegeben: Die AfD-Abgeordneten möchten den:­die Land­tags­prä­si­den­t:in stellen – mit allen Mitteln. Dafür wob der Alterspräsident in seine Eröffnungsrede seine Interpretation der Geschäftsordnung ein und erzeugte prompt lautstarken Widerspruch.

Der Konflikt entzündete sich ursprünglich an einer Unklarheit in der Geschäftsordnung. Weil die AfD bei der Landtagswahl am 1. September den höchsten Stimmenanteil bekam – und damit 32 Plätze – stellt sie die größte Fraktion. Die bisherige Geschäftsordnung weist ihr deshalb das Recht zu, ei­ne:n Ab­ge­ord­ne­te:n als Land­tags­pä­si­den­t:in vorzuschlagen. Soweit ist das unstrittig.

Sollte dieser Vorschlag in zwei Wahlgängen keine Mehrheit bekommen, sind andere Vorschläge erlaubt. Aber wer die einbringen kann, regelt die Geschäftsordnung bisher nicht. Von der AfD heißt es, auch dann sei nur die größte Fraktion berechtigt – also sie selbst –, Kan­di­da­t:in­nen vorzuschlagen. So erklärte das auch Treutler in seiner Rede. Der wissenschaftliche Dienst des Landtags geht hingegen nach Auslegung der geltenden Geschäftsordnung davon aus, dass nach zwei durchgefallenen Vorschlägen der AfD auch die übrigen Fraktionen Kan­di­da­t:in­nen aufstellen können. Darauf berufen diese sich.

Doch in der Sitzung kam es noch zu einem zweiten Streitpunkt: Die CDU wollte einen Geschäftsordnungsantrag stellen, bevor der Landtag ei­ne:n Prä­si­den­t:in gewählt hat. So wollte sie wohl die Geschäftsordnung dahingehend ändern, dass von Anfang an alle Fraktionen Vorschläge einreichen können. Einen entsprechenden Antrag hatte die CDU-Fraktion gemeinsam mit dem BSW eingereicht. Doch schon den ersten Geschäftsordnungsantrag, die Beschlussfähigkeit des Landtags schnell festzustellen, wollte Treutler nicht zulassen.

Immer wieder drängten ihn die Ge­schäfts­füh­re­r:in­nen der anderen Fraktionen dazu. Treutler bekam keine Ruhe in das Parlament. Was Treutler mache, schade der Demokratie, weil er den Mehrheitswillen ignoriere, rief Andreas Bühl zwei Stunden nach Sitzungsbeginn und fuhr lautstark fort: „Ich verlange von Ihnen, die Geschäftsordnung anzuwenden.“

Als sich BSW-Geschäftsführer Thilo Kummer einschaltete, verlor Björn Höcke, der AfD-Chef, völlig die Fassung: „Herr Kummer, Sie können doch nicht einfach das Wort ergreifen“, ergriff Höcke per Mikrofon einfach das Wort. Auch Bühl schien völlig fassungslos, als der Alterspräsident anfing, ihn und andere einfach zu ignorieren. „Was Sie hier treiben, ist Machtergreifung.“

Viele Unterbrechungen

Treutler selbst wirkte mit der Situation insgesamt überfordert. Immer wieder blickte er nach rechts, zu seiner Fraktion. Immer wieder eilten Torben Braga, der AfD-Geschäftsführer, und Stefan Möller, der AfD-Co-Vorsitzende, nach vorne, um sich mit Treutler zu besprechen. Nach etwas mehr als drei Stunden, als die SPD weiterhin auf ihrem Recht bestand, einen Geschäftsordnungsantrag einzubringen, sagte er in sein Mikrofon: „Ich sehe, es kommt zu keiner Ruhe, ich unterbreche die Sitzung für fünf Minuten.“ Allerdings: Die anderen Fraktionen folgten ihm nicht.

Schon stehend wiederholte Treutler: „Die Sitzung ist unterbrochen.“ Auch Björn Höcke klemmte sich seine Mappe unter den Arm und ging, seine AfD-Fraktion folgte zögerlich. Einzelne blieben sitzen. Genauso, wie alle Abgeordneten der anderen Fraktionen. „Wir fordern den zweitältesten Abgeordneten auf, die Sitzung fortzuführen“, meldete sich schließlich Bühl zu Wort. Klopfen auf die Tische. Doch niemand regt sich. „Wir verlangen, dass unsere verfassungsmäßigen Rechte gewahrt werden und die Sitzung fortgesetzt wird“, schloss sich Katja Mitteldorf von der Linken an.

Sieben Minuten lang tat sich nichts. Dann erst setzte sich der AfD-Alterspräsident wieder. Die Geschäftsführerin der Linken, Katja Mitteldorf, klärte ihn auf: „Geschäftsordnungsanträge sind unverzüglich zu beraten.“ Es sei „jetzt“ an der Zeit, endlich über den Geschäftsordnungsantrag abzustimmen, der seit Stunden im Raum stehe. Die Fraktionsvorsitzende des BSW, Katja Wolf, sagte anschließend zum Alterspräsidenten Treutler: „Sie haben keine politische Legitimation, eigene Geschäftsordnungsinterpretation vorzunehmen.“ Trotzdem wollte Treutler einfach fortfahren. „Ich komme nun zur Ernennung von vorläufigen Schriftführern …“ Da unterbrach ihn Janine Merz: „Einspruch! Wir sind überhaupt nicht in der Tagesordnung, in der Sie gerade verfahren wollen.“

Kurz darauf rief Treutler noch einmal die Ge­schäfts­füh­re­r:in­nen der Fraktionen zu sich. Der Plenarsaal beruhigte sich etwas und Katja Mitteldorf bekam das Wort. Sie wolle für die Linke-Fraktion festhalten, dass „der Alterspräsident seine Funktion, die nicht demokratisch legitimiert ist, als Landtagspräsident missbrauchen möchte, obwohl er das eben das nicht ist“.

Ähnlich äußerte sich danach die SPD, das BSW und die CDU. Nur Torben Braga von der AfD nahm den Alterspräsidenten aus seiner Fraktion in Schutz. Treutler ständen „die Maßnahmen zur Verfügung, die zur Aufrechterhaltung der Ordnung im Sitzungsraum notwendig sind. Er wurde in seinen Ausführungen mehrfach unterbrochen, ohne dass er das Wort erteilt hat.“

Zudem wiederholte er nochmal, welches Rechtsverständnis die AfD bei der Frage hat, wann Geschäftsordnungsanträge zu behandeln seien und welche Fraktionen Vorschläge für das Amt der Land­tags­prä­si­den­t:in machen darf. Nach einer weiteren Besprechung der Ge­schäfts­füh­re­r:in­nen sagte Treutler, seine Finger knetend: „Als Alterspräsident schließe ich mich der Meinung von Torben Braga an.“ Dann gab er ein letztes Mal dem CDUler Andreas Bühl das Wort.

Mehr als vier Stunden nach dem Beginn der konstituierenden Sitzung erklärte der, seine Fraktion werde nun vor das Thüringer Verfassungsgericht ziehen, weil Treutler in dieser ersten Sitzung mehrfach die Verfassung gebrochen habe. Bis das Gericht entschieden hat, ist die Sitzung unterbrochen.

Es ist nur ein Vorspiel auf das, was die nächsten Monate bevorsteht.

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