Theater über Behindertenwerkstätten: Arbeit, immer Arbeit

Das Bremer Blaumeier-Atelier beforscht Arbeitsbedingungen in Behindertenwerkstätten – und macht dabei auch vor dem eigenen Betrieb nicht Halt.

Wir Menschen sitzen in Blaumännern an einem Tisch. Eine weitere Person sitzt am Tisch links daneben und schaut durch ein transparentes Rechteck

Manchmal ist die Erholung von der Arbeit anstrengender als die Sache selbst: Blaumeier probt den „Fluch der Fabrik“ Foto: Marianne Menke/Blaumeier

Irgendwann fliegt sie dann einfach raus, die Fabrikbesitzerin – also im Spiel hinaus aus ihrer eigenen Fabrik und dabei körperlich auch in echt raus aus dem Theater. Hintertür auf, Ausbeuterin raus, Tür wieder zu. So einfach ist das. Und während von hier aus das bis dahin abstrakt-dokumentarisch angehauchte Theater über entfremdete Lohnarbeiterei sich in eine Gaga-Gala zwischen Musicalschmelz, 80er-Jahre-TV-Show und Herzschmerz-Popnummer verwandelt, hallt so eine kleine Frage von eben noch nach: „Haben wir gerade Gewalt angewendet?“ Ein kurzer Schreck war das und kurz darauf ein Schulterzucken: „Kann schon sein.“

Das von Wanja Lange und Karolin Oesker konzipierte Stück heißt „Fluch der Fabrik“ und ist im Bremer Blaumeier-Atelier zu sehen. Für die Produktion haben Schau­spie­le­r:in­nen mit und ohne Behinderung ihren Arbeitsalltag erforscht: was sie also machen, wenn sie sich gerade nicht in Blaumeiers Kunst- oder Theaterprojekten beschäftigen, sondern in ihren Behindertenwerkstätten oder anderen Brotjobs.

Auf der von Sibylle Müngersdorf gestalteten Bühne ist dieses Arbeiten symbolisch heruntergebrochen auf eine sich endlos wiederholende Szene am Fließband. Vorn kippt wer bunte Bälle drauf, die von den anderen poliert werden, bis am Ende eine immer mal wechselnde Farbe aussortiert wird.

Was völlig sinnlos scheint, taugt allerdings nicht nur als knackige Entfremdungsmetapher, sondern stiftet obendrein auch tatsächlich so eine Art vergiftete Spannung. Welche Farbe wohl als nächstes raus muss? Wann gleich wieder ein Positionswechsel kommt? Da rollt ein Hellblauer an der Sortierung vorbei – Herrgott, sieht sie denn das nicht?! So was fragt man sich dann und steckt darum offensichtlich emotional schon mittendrin im Arbeits­elend, dessen Sinn man ja bekanntlich selbst erst mal finden, wenn nicht erfinden muss. Abgesehen vom Geld, versteht sich.

Gute Fragen, keine Antworten

Tatsächlich auch äußerlich interessant ist hingegen das, was die Blaumeier in ihren Fließbandpausen (wann auch sonst?) am Kaffeetisch über ihre Werkstätten zu berichten haben. Und da reiben sich eben auch unversöhnliche Widersprüche: Während Max zum Beispiel in strenger Chronologie einen Arbeitstag vorstellt, der offenbar nur aus Pausen besteht, gibt es auch Unzufriedenheiten um handfeste Fragen: Warum werden mir die Kosten fürs Mittagessen vom Lohn abgezogen? Warum haben nur Raucher eine Raucherpause? Gute Fragen, keine Antworten.

Dass auch Theaterspielen Arbeit ist, kommt übrigens auch zur Sprache, und damit ein bisschen auch die Verantwortung des Publikums. Wenn nämlich die da vorn mal was anderes machen möchten, als die Regie sich gerade vorstellt, dann wird auch so was schnell zum Argument: „Die Leute haben ja auch Geld dafür bezahlt.“

wieder am 27. und 28. 9., 19 Uhr, sowie am 29. 9., 18 Uhr, Blaumeier-Atelier, Travemünder Straße 7a, Bremen

Und hier bewegt sich das Stück auch um den Kern aktueller Szenedebatten, die sich ja auch verändert haben, seit inklusive Gruppen wie Blaumeier irgendwann doch plötzlich ein paar Jahrzehnte Betrieb hinter sich hatten. Ging es anfangs vor allem darum, teils schwer hospitalisierte Menschen aus den Heimen zu holen und mit ihnen Strategien zu erproben, sich zu entfalten – sozusagen überhaupt erst mal wieder auf die Füße zu kommen –, dann drängen heute doch auch dramaturgische Metafragen an die Oberfläche. Wer darf hier eigentlich was? Warum sind es so oft auf dem Papier gesunde Menschen, die in der Regie das Sagen haben, während die mit Behinderung zumeist auf der Bühne stehen?

Aufbegehren in der Kaffeepause

„Fluch der Fabrik“ fällt insofern programmatisch aus, als es diese Frage zumindest antickt und transparent verhandelt, ohne gleich zur Revolution zu schreiten. Viel schmerzhafter als der Rauswurf dieser Fabrikbesitzerin ist etwa ein kurzes Aufbegehren in der Kaffeepause, als Schauspieler keine Fabrikarbeiter mehr sein wollen und darüber übers Publikum hinweg mit der Regie in Streit geraten. Da kommt kein „Du musst aber“ aus dem Lautsprecher, sondern es geht in pädagogischer Gelassenheit darum, dass man die Szene „doch gemeinsam anders besprochen“ habe und dass eben auch „Verantwortung übernehmen“ müsse, wer hier das Ruder an sich reißt. Und das ist ja auch kein Witz, sondern sowas wie das Kernproblem einer jeden Befreiungsbewegung.

Darum ist auch die erwähnte Anarcho-Gala am Ende natürlich kein Umsturz des hauseigenen Theaterbetriebs, sondern ein Kompromiss, auch wenn der zwischendurch mal in Flammen steht. Und dieser Dreh kommt nicht nur bedacht und vernünftig daher, sondern ist eben auch in Sachen Kunst punktgenau abgestimmt. Anders wäre ja auch gar nicht zu erklären, wie viel Spaß es macht, Menschen im Blaumann eine halbe Stunde lang beim Sortieren von Plastikbällen zuzugucken – die sie am Ende dann doch wieder im gleichen Eimer zusammenkippen.

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