hamburger szene
: Der raue Wind der Straße, wenn man Unterschriften fürs Klima sammelt

Dass es ausfallen würde, hatte ich gehofft, aber dann fällt es nicht aus: Unterschriften sammeln für den Hamburger Zukunftsentscheid, zwei Stunden an einem grauen Nachmittag vor dem Altonaer Bahnhof. Als ich komme, steht schon eine Frau mit Locken und wasserfester Jacke vor dem Eingang. „Zukunftsentscheid“ steht auf ihrer weißen Weste und neben ihr zittert ihr sehr kleiner Hund in der Kälte.

Ich habe keine Flyer dabei, weil ich mir den Graswurzelcharakter der Sache nicht klar gemacht hatte, aber die Frau mit den Locken gibt mir einen Stapel von ihren. „Klimaziele verbindlich machen“, rufe ich, aber das ist ein einsamer Wunsch. Die Leute sind wie Hunde, die die Gefahr schon von vorn riechen. Sie gucken schon in zwei Metern Entfernung so beflissen zur Seite, dass meine Flyer und ich unsichtbar werden.

Der Zukunftsentscheid soll das Hamburger Klimagesetz verschärfen und funktioniert in mehreren Stufen: Für eine Volksinitiative hat das Bündnis schon über 20.000 Stimmen gesammelt, was bedeutet, dass die Bürgerschaft sich mit dem Thema befassen musste. Sie schloss sich dem Ziel aber nicht an und jetzt werden neue Stimmen gesammelt, damit in einem Volksentscheid über ein verschärftes Klimaschutzgesetz abgestimmt werden kann. Dafür braucht es nun 67.000 Unterschriften und in Hamburg haben sich Fridays for Future, Nabu, Ver.di und der Mieterverein zu Hamburg dafür zusammengetan.

„Klimaziele verbindlich machen“, rufe ich und versuche die selbstgewisse Fröhlichkeit hineinzulegen, die mein früherer Chef hatte, als wir gemeinsam kostenlose tazzen verteilten. „Ihr müsst ein Gewinnspiel machen, dann machen die Leute mit“, sagt ein zerknitterter Mann im Rollstuhl, der neben dem Aschenbecher raucht. „Wir gewinnen doch das Klima“, sage ich lahm. Schräg gegenüber steht ein Bettler, den ich vom Sehen kenne. „Gesundheit und alles Gute für Sie“, sagt er, wenn ich ihm Geld gebe, und auch jetzt hält er eine silberne Tasse vor sich. Ich frage mich, ob wir seine Kundschaft vertreiben. Ein junger Mann mit dunklem Backenbart macht eine Raucherpause und guckt uns lächelnd zu. Wir Bildungsbürger:innen, die nun auch mal dem rauen Wind der Straße ausgesetzt sind.

Nach einer halben Stunde Flyer-Verteilen ist klar, dass es sinnlos ist, Jung-Eltern anzusprechen, ältere Paare ebenso. Lohnend sind bürgerliche Frauen ab etwa 50. Ist es eine sonderbare Variante diskriminierender Polizeikon­trollen, wenn ich mich an sie halte statt allen den Flyer vor die Nase zu halten? „Klimaziele verbindlich machen“, sage ich und halte ihn einer rothaarigen Frau in Schwarz entgegen. „Ich habe andere Sorgen, sieht man das nicht“, sagt sie und ich gucke sie genauer an. Vielleicht ist sie wohnungslos, sicher prekär.

Ein Trupp Jugendlicher geht an mir vorbei. „Sicher wart ihr bei der Fridays-for-Future-Demo“, rufe ich gehässig hinterher, „die Jugend von heute.“

Einige zischen „Klima“ so böse, dass ich Angst habe, sie wollen mich hauen

„Das sind die Alten von gestern“, sagt der Mann im Rollstuhl kryptisch. „Wollen Sie vielleicht unterschreiben?“, frage ich. Er rollt zum Unterschriftentisch. Er war Hausbesetzer in der Hafenstraße, erzählt er, vom Obst, das sie auf die Po­li­zis­t:in­nen schmissen, die im Gegenzug nicht pingelig waren. Er erzählt und dann bricht er ab und sagt: „Ich will euch die Kundschaft nicht vertreiben“ und rollt davon.

Es kommt ein gut gelaunter junger Mann, der selbst mal Telefonmarketing gemacht hat – „Auch nicht schön“ – und unterschreibt, es kommt eine Mutter mit Kind, es kommt eine junge Frau, die sich bedankt, dass wir hier stehen. Ein schöner Hippie ruft, dass man erst den Kapitalismus abschaffen müsse und unterschreibt nicht. Einige zischen „Klima“ so böse, dass ich Angst habe, sie wollen mich hauen und ich denke an die grünen Parteivorsitzenden, die gerade zurückgetreten sind. Um 16.45 Uhr haben wir 20 Unterschriften. „Bis zum nächsten Mal“, sagen wir vage zuversichtlich und ziehen eilig die Westen aus. Friederike Gräff