Rücktritt des Grünen-Vorstands: Partei ist wichtiger als Macht

Am Mittwoch ist der Parteivorstand der Grünen zurückgetreten. Wird es mit Personal aus der zweiten Reihe besser?

Zwei Personen stehen auf einem Podium und sprechen zu Vertreter:innen der Presse.

Die Grünen-Spitze zieht nach den Misserfolgen der Partei bei mehreren Wahlen personelle Konsequenzen Foto: Fabian Sommer/dpa

Omid Nouripour ist Fan von Eintracht Frankfurt und erzählt das jedem, der es nicht hören will. Versuchen wir es am Tag, an dem er und Ricarda Lang ihren Rücktritt vom Grünen-Vorsitz angekündigt haben, also mit einer Fußball-Metapher: Im Frühjahr 2016 entließ die Eintracht nach sieben sieglosen Spielen ihren Trainer Armin Veh, es übernahm Niko Kovač und der Schuss saß. Am Saisonende stand der Klassenerhalt und zwei Jahre später der Gewinn des DFB-Pokals. Meistens aber führen Verzweiflungstaten im Abstiegskampf in die andere Richtung. 2001 schmissen die Hessen Felix Magath raus, mit dem Nachfolger ging es trotzdem in Liga 2.

Wenig spricht dafür, dass es für die Grünen durch ihren Personalwechsel anders läuft. Natürlich gab es am Parteivorstand fundierte Kritikpunkte: Die Kampagne zur Europawahl war langweilig. Wofür Nouripour inhaltlich steht, weiß niemand. Und Lang hat zwar ein klares sozialpolitisches Profil, vermochte es aber auch nicht, damit gegen das Klischee der Gutverdienerpartei durchzudringen.

Einwände dieser Kategorie ließen sich aber genauso gegen das übrige grüne Spitzenpersonal finden. Manchmal scheitert das reibungslose Regieren der Ampel an nörgelnden Grünen-Abgeordneten. Haben die Fraktionschefinnen ihren Laden nicht im Griff? In der Bevölkerung hängt den Grünen weiterhin Habecks Heizungsgesetz nach. Ist der Vizekanzler eine Bürde? Man könnte das Personaltableau reihum auf solche Makel abklopfen, helfen würde es auch nicht. Das Problem der Grünen sind nicht primär die Köpfe, und Wäh­le­r*in­nen werden nicht zurückkehren, nur weil in der Parteizentrale künftig jemand anderes aus der zweiten Reihe sitzt.

Deutschland muss transformiert werden

Das größte Problem für grüne Politik sind die Umstände: Das Land muss transformiert werden. Die Menschen haben vor lauter Krisen aber keine Lust darauf, verändert zu werden. Bewegen lassen sie sich höchstens, wenn die Härten gut abgefedert werden. Dafür braucht es aber Geld aus neuen Steuern oder Krediten, die es in dieser Koalition nicht geben wird.

„Jetzt ist nicht die Zeit, am eigenen Stuhl zu kleben“, sagte Lang am Mittwoch. Der Rücktritt als Symbol, das die Kehrtwende einleiten soll, könnte aber schnell verpuffen. Viel mächtiger wäre der radikalere Schritt: Die Grünen verlassen die Regierung. Sie senden damit die Botschaft, dass der Partei als Ganzes die Sache wichtiger ist als die Macht. Und sie stellen ihr Angebot, mit dem sie in der Ampel nicht durchkommen, ein Jahr früher als geplant neu zur Abstimmung. Dadurch könnte viel eher ein Momentum entstehen als durch den Personalwechsel.

Ein Risiko im aktuellen politischen Klima? Natürlich. Ein Koalitionsbruch könnte auch schiefgehen, bei Neuwahlen könnten die Grünen weiter schrumpfen. Die Union regiert hinterher mit der SPD und Friedrich Merz lässt von der Schuldenbremse trotzdem nicht ab. Aber dass die Grünen all das bei regulären Wahlen in einem Jahr abwenden und ihren Abwärtstrend stoppen, ohne ans Grundproblem zu gehen – das ist auch eine gewagte Wette.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Geboren 1988, arbeitet seit 2013 für die taz. Schreibt als Parlamentskorrespondent unter anderem über die Grünen, deutsche Außenpolitik und militärische Themen. Leitete zuvor das Inlandsressort.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.