Housing First in Bremen: Wohnen kann man lernen

Das Bremer Modell-Projekt ist erfolgreich damit, Obdachlose von der Straße wegzubringen. Doch der Betreuungsaufwand ist größer als gedacht.

Obachloser am Bremer Hauptbahnhof

Eine eigene Wohnung – am Bremer Hauptbahnhof bleibt das für viele ein Traum Foto: Mohssen Assanimoghaddam/dpa

Bremen taz | Das Bremer Modellprojekt „Housing First“ ist ein Erfolg. Laut dem Abschlussbericht, der am Donnerstag der Sozialdeputation vorgelegt werden soll, wurden bis Dezember 2023 42 Obdachlose in das Projekt aufgenommen, 33 von ihnen zogen in eine Wohnung.

„Housing First“, also die Idee, Obdachlosigkeit dadurch zu bekämpfen, dass man Obdachlosen erst mal eine Wohnung gibt, existiert als Modellprojekt in mehreren deutschen Städten. In Bremen werden seit November 2021 Obdachlose, die auf der Straße leben und in den regulären Notunterkünften nicht unterkommen können oder wollen, systematisch aufgesucht mit dem Angebot, ihnen eine Wohnung zu vermitteln.

„Das Wohnen wird damit als Recht angesehen, das der Einzelne sich nicht erwerben muss – etwa indem er in Einrichtungen oder Sonderwohnformen für Obdachlose gut zurechtkommt und damit seine ‚Wohnfähigkeit‘ nachweist“, schreibt Bremens Sozialsenatorin Claudia Schilling (SPD). Aufgenommen werden könne, „wer im traditionellen Unterstützungssystem gescheitert ist, aber grundsätzlich den Willen hat, eine Wohnung mit einem Mietvertrag anzumieten“.

Die Bereitschaft, sich von So­zial­ar­bei­te­r*in­nen besuchen zu lassen, müsse zwar da sein, wollten Bewohner das aber nicht mehr, werde ihnen die Wohnung nicht weggenommen. „Das erlaubt einen vertrauensvollen Beziehungsaufbau ohne Sanktionen“, so die Sozialsenatorin, das Projekt habe sich aus ihrer Sicht „absolut bewährt“.

Für das Jahr 2024 ist laut Abschlussbericht die Aufnahme von 15 neuen „Teil­neh­me­r*in­nen“ vereinbart worden, nachdem sich gezeigt habe, dass das Ziel, jedes Jahr 30 Personen aufzunehmen, nicht zu halten gewesen sei – nicht etwa, weil es zu wenig Wohnungen gab, sondern mit knapp vier Stellen für Sozialarbeit und Pflege zu wenig Personal, um die oft suchtkranken und psychisch beeinträchtigten Obdachlosen in ihren Wohnungen auch zu betreuen.

Projektleitung nicht besetzt

Insgesamt sei Fluktuation ein Problem gewesen, da es sich nur um befristete Stellen gehandelt habe. Ein „Peer“-Mitarbeiter, der selbst ehemals obdachlos gewesen war und darum bei der Betreuung sehr wichtig war, sei ausgeschieden. Die Projektleitung war zeitweise nicht besetzt.

Zu Konflikten mit der Sozialbehörde als Geldgeberin kam es über die Frage, wie lange die Obdachlosen bleiben dürfen. „Um Platzkapazitäten für weitere Personen zu schaffen“, habe die Sozialbehörde darauf gedrungen, „dass die ursprünglich vorgesehene Betreuungszeit von zwei Jahren eingehalten und daher dann auch verstärkt Teil­neh­me­r*in­nen aus dem Projekt entlassen werden sollen“, so steht es in dem Bericht.

Das widerspreche „einem der zentralen Prinzipien von Housing First, nach dem Hilfe und Unterstützung so lange erfolgen sollten, wie es die Teil­neh­me­r*in­nen benötigen“. Das Projektteam habe die Erfahrung gemacht, dass „einige der Teil­neh­me­r*in­nen sehr viel Zeit brauchten, um überhaupt anzukommen“.

Für den Abschlussbericht haben die Autoren von der „Gesellschaft für innovative Sozialforschung und Sozialplanung“ in Bremen die Teil­neh­me­r*in­nen auch nach ihren Lebensläufen befragt. Die meisten sind in Bremen oder Niedersachsen geboren und aufgewachsen. Einige gaben an, aus „wohlsituierten, sehr bürgerlichen Familien“ zu kommen, andere berichteten von zerrütteten Verhältnissen und Gewalterfahrungen.

Materielle Situation nicht besser

Ihre neuen Wohnungen liegen verstreut über das Stadtgebiet. Der Bezug der eigenen Wohnung sei für die meisten ein „großer Lebenseinschnitt“ gewesen, stellten die Autoren des Abschlussberichts fest. Für Ernüchterung habe gesorgt, dass sich die materielle Situation damit nicht unbedingt verbessert habe. Manche hätten tagsüber weiterhin die alten Plätze besucht, einer die Wohnung nur zum Übernachten betreten, ein anderer nur zum Drogenkonsum.

Die meisten hätten sich aber in den Wohnungen eingerichtet, Probleme mit Nachbarn und Vermietern wurden fast immer gelöst. Beruhigend für die Vermieter ist, dass das Projekt für Schäden an der Wohnung aufkommt. Das habe, wenn es nötig sei, sehr gut funktioniert.

Die Housing-First-Warteliste in Bremen ist lang: 600 Menschen leben dort auf der Straße, 150 davon suchen keine Notunterkunft auf und kommen auch nirgendwo anders unter. Im Jahr 2025 soll Housing First regulär finanziert werden. Man sei in Verhandlungen mit dem Bund, so die Bremer Sozialbehörde. „Allein können wir das nicht bezahlen.“ Bis 2030 soll es in Deutschland keine Obdachlosigkeit mehr geben, das hat die Bundesregierung beschlossen.

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