Sicherheitsexperte über Krieg in Nahost: „Biden-Regierung hat sich verzockt“

Deuten die Anschläge auf die Hisbollah auf einen Einmarsch Israels im Südlibanon hin? Der US-Sicherheitsexperte Michael Allen schätzt die Lage ein.

Joe Biden sitzt vor einer Reihe von US- und Israelfahnen

Die USA sind wichtigster Partner Israels, haben aber keinen großen Einfluss auf die Regierung unter Benjamin Netanjahu Foto: Miriam Alster/UPI/laif

taz: Michael Allen, wie wirken sich der Krieg im Gazastreifen und die jüngste Eskalation mit der Hisbollah im Libanon auf Israels nationale Sicherheit aus?

Allen: Ich glaube nicht, dass die Sicherheit Israels dadurch zwangsläufig gesteigert wird. Aber wenn man eine Terrorgruppe bekämpfen will, geht es nicht nur darum, ihre Mitglieder zu töten. Man muss auch ständig Druck auf sie ausüben, damit sie keine Zeit hat, Pläne zu schmieden, wie sie wieder angreifen kann. Dasselbe Konzept haben die Vereinigten Staaten auch im Kampf gegen al-Qaida angewandt. Diese Vorgehensweise war und ist die vorherrschende Strategie der CIA und all derer, die in den USA an Anti-Terror-Programmen beteiligt sind.

Es geht darum, den Terroristen das Messer an die Kehle zu halten, damit sie sich den ganzen Tag Sorgen um ihr Überleben machen müssen und keinen Spielraum haben, einen Anschlag im Stil des 11. Septembers durchzuziehen. Und ich glaube, das Gleiche gilt für Israel.

taz: Bedeutet das, dass ein Krieg mit der Hisbollah für Israel damit unausweichlich ist?

Allen: Es könnte definitiv zu einer Eskalation kommen. Viel hängt davon ab, ob der Iran eine aktivere Rolle einnehmen wird. Der Iran hat eine enge Verbindung zur Hisbollah, viel enger als zur Hamas. Für Israel war der 7. Oktober 2023 ihr 11. September, und Israel hat seine Bemühungen noch nicht beendet, die Terrororganisationen an mindestens zwei Grenzen zu schwächen. Die Explosionen von Pagern und Funkgeräten im Besitz von Hisbollah-Mitgliedern während der vergangenen Woche könnten ein Zeichen dafür sein, das Israel plant, Bodentruppen in den Südlibanon zu entsenden.

ist ein US-amerikanischer Sicherheitsexperte. Er war Sonderberater des ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush und Mitglied des nationalen Sicherheitsrats der USA.

taz: Die US-Regierung um Präsident Joe Biden hat Israel seit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober mit Waffenlieferungen unterstützt. Der Krieg in Gaza wird sich in wenigen Wochen jähren. Was denken Sie über das strategische Vorgehen der US-Regierung bis hierhin?

Allen: Ich weiß, dass innerhalb der Regierung große Frustration herrscht, weil sie jeden diplomatischen Schachzug versucht haben, um einen Waffenstillstand zu erreichen. Wir Amerikaner fühlen uns in einer miserablen Lage, zu wissen, dass wir diejenigen sind, die hinter Israel stehen und trotzdem keinerlei Einfluss auf dessen Premierminister Benjamin Netanjahu haben. Ich denke, dass die Regierung von vornherein überschätzt hat, was sie erreichen kann.

taz: Warum haben die USA als wichtigster Partner Israels keinen großen Einfluss auf das Vorgehen der israelischen Regierung?

Allen: Ich denke, dass sich die Biden-Regierung verzockt hat, indem sie von Anfang an versucht hat, Israel dazu zu bringen, einem Waffenstillstand und Friedensabkommen zuzustimmen. Für Israel war dies, wie gesagt, ihr 11. September, und es ist ja nicht nur Netanjahu, es sind auch die anderen, in diesem Fall die Hamas, die die Verhandlungen immer wieder blockiert haben oder sich weigerten, den jeweiligen Bedingungen zuzustimmen. Auch die öffentliche Darstellung der Situation durch die US-Regierung ist problematisch.

Wir sagen zwar, dass wir auf der Seite von Israel und Netanjahu stehen, gleichzeitig gibt es aber ständig Leaks an die Medien, dass wir unter vier Augen klarmachen, dass Israel so nicht weitermachen kann. Und auch die Annahme, dass Israel nach dem schlimmsten Terrorangriff in ihrer Geschichte ein wahres Interesse an eine Zweistaatenlösung hat, scheint mir doch recht weit hergeholt.

taz: Wie viel hat der von Ihnen genannte Versuch, Israel zu einem Friedensabkommen zu bewegen, mit den innenpolitischen Gegebenheiten in den USA zu tun, so kurz vor der nächsten Wahl?

Allen: Innenpolitik spielt in außenpolitischen Fragen immer mit. Ich glaube allerdings nicht, dass die US-Regierung irgendwelche Entscheidungen ausschließlich aufgrund der innenpolitischen Situa­tion getroffen hat. Ich war selbst für acht Jahre im Weißen Haus und ich bin mir sicher, dass die Regierung über diplomatische Wege versuchen wollte, den Konflikt schnell zu lösen. Es war sicherlich ein Ziel, keine neuen Schlagzeilen zu kreieren, denn dann hätten sich die Medien darauf konzentrieren können, darüber zu berichten, was für ein schrecklicher Mensch Donald Trump ist. Und eben nicht, dass im Nahen Osten unter der aktuellen Regierung ein neuer Brand ausgebrochen ist. Nun, ich glaube nicht, dass das sehr gut funktioniert hat.

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