Ernst Jordan
: Alles sehr geheimnisvoll

Vor ein paar Monaten wurde ich bei dem Verein eingeführt, der im Hintergrund die Strippen zieht. Also der New World Order, der jüdischen Weltverschwörung, dem militärisch-industriellen Komplex, den Echsenmenschen, den Aldebaranern oder dem ZDF-Fernsehrat, je nach Weltanschauung und Youtube-Algorithmus. Den wahren Namen darf ich aus datenschutzrechtlichen Gründen natürlich nicht nennen, wir sind hier immer noch in der Deutschland-Matrix.

Die Einführung habe ich meinem Urururururgroßvater klonexperimentellerseits zu verdanken. Der hat sich seinen Sitz verdient, weil er damals Dschingis Khan aufs Pferd gesetzt oder die Cholera erfunden hat oder den Handyempfang in Regionalbahnen. Irgendetwas sehr Böses auf jeden Fall. Und da ein Sitz im Weltherrschaftsrat durch Primogenitur vererbt wird, war jetzt ich an der Reihe.

Auf dem Rücken zweier exkommunizierter Priester wurde ich zum Ort meiner Initiation getragen, einem aktuellen Trend folgend ein Potsdamer Landhaus. Dort wartete bereits eine Vielzahl schwarzberobter Männer auf mich, an denen ich leise „Dieser Weg“ intonierend vor­bei­de­fi­lie­ren musste. Die Initiation selbst war dann beinahe spartanisch: ein paar Tropfen von Christi Blut (dem echten immerhin) hinter die Ohren, ein paar Schwüre auf den Beatles-Bob (glaube ich, die Akustik war furchtbar), das war’s.

Nun ist die letzte Verschwörung gegen meine Mitmenschen schon ein paar Jährchen her, und damals ging es auch nur darum, meinen Mitbewohnern unbemerkt die Nutella wegzufuttern. So eingerostet gleich Frösche verschwulen? Das konnte ich mir nicht vorstellen.

Deshalb nutzte ich die Macht erst einmal nur für kleine Boshaftigkeiten: Ich ließ besonders volle Züge ausfallen und dann doch kommen – allerdings mit aufgehobener Sitzplatzreservierung. Ich sorgte dafür, dass die angenehmste Fernsehlautstärke immer auf einer ungeraden Zahl liegt. Im Fitness­studio platzierte ich einen Lakaien, der diese eine Maschine, die alle benutzen, von der es aber trotzdem nur zwei gibt, für mich besetzt hält. Auf Reisen sicherte ich mir immer ein babyfreies Zugabteil oder ein boeingfreies Flugzeug. Solche Dinge eben.

Ein paar Monate lang genoss ich diese Gemeinheiten auch, dann bekam ich Gewissensbisse. So viel Macht, und ich nutze sie nur für Bagatellen – und dann auch noch für böse! Also beschloss ich, meinen Sitz nicht nur aufzugeben, sondern vorher noch die dunkle weltbeherrschende Kabale ans Licht zu zerren. Schluss mit den geheimen Strippenziehern!

Erst war ich unsicher, wie ich der Welt helfen konnte, ohne sie zu ihrem Glück zu zwingen. Doch dann kam es mir: Ich werde alle sicht- und unsichtbare Macht den Reichen und Shareholdern geben. So wird das Volk die wahren Machthaber locker selbst absetzen können. Für diesen letzten Schritt braucht es mich dann wirklich nicht mehr.