Zivilgesellschaft nach Brandenburg-Wahl: „Wir brauchen jeden Einzelnen“

Was bedeutet das Wahlergebnis für die Zivilgesellschaft? Die taz hat mit vier Engagierten gesprochen.

Eine Frau guckt während einer Demonstration selbstbewusst in die Kamera.

Clara ­Mühlheim hat den Protest gegen den AfD-Landesparteitag 2024 in Jüterbog mitorganisiert Foto: Piotr Pietrus

Clara Mühlheim, Sozialpädagogin in einem Jugendclub und aktiv bei dem sozialistischen Verein „Die Falken“:

„Gerade überwiegt noch das Ohnmachtsgefühl. Natürlich ist es gut, dass die AfD nicht stärkste Kraft bei der Wahl in Brandenburg geworden ist. Aber ich kann darüber nicht jubeln, weil die Nazis ja trotzdem so stark geworden sind, weil sie jetzt mit einer Sperrminorität wichtige Entscheidungen im Landtag blockieren können. Und auch, dass Linke und die Grünen aus dem Landtag geflogen sind, ist schockierend. Genau die Parteien, die für soziale Gerechtigkeit einstehen – also die Politik, die wir jetzt bräuchten.

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Fatal ist das auch, weil die AfD ja explizit auch die Jugendarbeit angreift, also auch unsere Arbeit. Wir hatten das ja 2020 schon mal, als die Partei versucht hat, alle Mittel für uns Falken zu streichen. Damals gab es noch die Brandmauer aller demokratischen Parteien, die dagegen gestimmt haben. Jetzt aber sind wir in einer Situation, in der wir uns da nicht mehr unbedingt darauf verlassen können. Ich glaube nicht, dass die AfD in Brandenburg mitregieren wird. Aber die Partei wird Druck ausüben und sie wird ihre Sperrminorität nicht ungenutzt lassen.

Was mich auch schockiert, ist, wie viele junge Menschen die AfD gewählt haben. Die Kinder, mit denen wir zusammenarbeiten, haben ja eher Migrationsgeschichte, für die war das kein Thema und viele von ihnen dürfen ja leider eh nicht wählen. Aber bei unseren Antifa-Demos haben wir bemerkt, dass es eine neue, junge, rechtsextreme Generation gibt, die gewaltbereit ist. Als wir gegen den AfD-Parteitag in Jüterbog protestiert haben, da standen uns plötzlich Zehntklässler gegenüber, die den Hitlergruß zeigten. Und das ist genau die Jugend, die die AfD für sich gewinnen will und die sie weiter radikalisiert.

Es ist umso wichtiger, dass wir weitermachen. Dass wieder solche AfD-Anträge kommen, die unsere Förderung streichen wollen, damit müssen wir rechnen. Aber wir wollen uns davon nicht einschüchtern lassen. Wenn die Grünen und Linken im Landtag jetzt fehlen, dann müssen wir uns jetzt noch mehr mit anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen vernetzen. Und wir müssen alle noch mal diskutieren, was langfristig unsere Strategie ist, um aus der Defensive zu kommen. Da fehlen mir gerade auch noch die Antworten. Aber das Wichtigste ist, dass alle, die in Brandenburg gegen rechts und für die Demokratie eintreten, jetzt zusammenhalten und noch mehr zusammenwachsen. Und dass wir nicht aufgeben.“

Augusto Jone Munjunga ist Mitgründer und Vorsitzender des Kulturvereins Palanca in Eberswalde:

„Es ist eine kritische Lage. Als migrantischer Verein werden wir in Zukunft vielleicht viele Sachen nicht mehr tun können. Durch die neue politische Lage könnte unsere finanzielle Unterstützung blockiert werden. Wenn das passiert, bremst das unsere Vereinsarbeit und bedroht schlussendlich unsere Existenz. Und das kann auch vielen anderen Vereinen passieren.

Wir diskutieren in den nächsten Tagen unsere Zukunft mit unseren Mitgliedern. Ich weiß aber auch jetzt schon, dass die Angst derzeit bei uns allen dominiert. Die AfD in Eberswalde und im Landkreis Barnim hat bei den Wahlen dazugewonnen, sie stellt jetzt den stellvertretenden Landrat.

Die Arbeit von Palanca sollte weitergehen, trotz des schlechten Ergebnisses, das es jetzt gibt. Genauso müssen die Po­li­ti­ke­r:in­nen weitermachen. Die sollen nicht einfach denken: „Na ja wir haben verloren, wir packen unsere Sachen und wir gehen.“ Damit gewinnt die AfD nur noch mehr. Egal welche Ergebnisse kommen, wir müssen weiterkämpfen. Wir können den Raum nicht einfach der AfD überlassen.

Ich vergleiche es immer mit den neunziger Jahren, weil ich damals viele rassistische Sachen erleben musste. Nach der Ermordung von Amadeu Antonio 1990 haben wir auch gesagt, wir müssen weiterkämpfen. Wir waren nicht viele damals, vielleicht 20 Menschen. Dann haben wir Palanca gegründet.

Wenn ich jetzt sehe, dass diese Zeiten zurückkommen, macht mir das Angst. Ich bin keine junge Person mehr. Es liegt jetzt auch in der Hand der jungen Menschen. Sie werden viel kämpfen müssen, um die Zukunft zu schützen.

Es ist wie im Fußball. Wenn ich eine Gelbe Karte bekomme, muss ich es besser machen, damit ich keine Rote bekomme, und ich muss gut spielen, um zu gewinnen. Das brauchen wir jetzt genauso: Eine gute Strategie, um die AfD wieder runterzubekommen. Und dafür brauchen wir die Zivilgesellschaft, aber auch die Politik.

Von der Zivilgesellschaft erhoffe ich mir, dass das Zusammenleben weitergeht. Die Deutschen und die Mi­gran­t:in­nen sollen zusammenwachsen, alle sollen zusammenarbeiten, zusammenleben. Damit auch die Mi­gran­t:in­nen in ihrer Unterschiedlichkeit und Vielfältigkeit gesehen werden. Aber das geht nur, wenn Mi­gran­t:in­nen und Deutsche nah aneinander dran sind. Nur so können wir die Probleme, die es gibt, verbessern.“

Der Palanca e.V. war einer der Nominierten des diesjährigen taz Panter Preis in Brandenburg.

Angelika Rix engagiert sich bei den Omas gegen rechts in Potsdam:

„Ich war am Sonntagabend zu Hause und habe die Wahlergebnisse mit meinem Mann vor dem Fernseher geguckt. Bei der ersten Prognose war ich erleichtert, aber das hat sich dann in Traurigkeit und Frustration gewandelt. Die AfD ist nicht stärkste Kraft, was ein Erfolg ist. Aber es ist eine Katastrophe, dass so viele Parteien aus dem Landtag ausgeschieden sind. Es gibt keine wirkliche Auswahl für Koalitionen unter Ausschluss der AfD.

Mit den Omas gegen rechts müssen wir uns viel mehr an jüngere Leute richten. Bisher haben wir in unserer Kommunikation vor allem ältere Menschen angesprochen. Seit zwei Wochen sind wir bei Tiktok, von so was brauchen wir noch viel mehr. Außerdem müssen wir uns überlegen, wie wir junge Leute auf dem Land ansprechen. Wir sind hier in Potsdam in einer Blase. Hier bekommen wir viel positives Feedback von jungen Leuten, aber die denken anders als die jungen Menschen auf dem Land. Wir können nicht einfach übertragen, was sie fühlen und denken.

Ich habe gelesen, dass bei jungen Leuten die AfD zwar stärkste Kraft ist, aber die Kleinstparteien auch sehr hohe Zustimmungswerte haben. Das macht mir große Hoffnung. Die jungen Leute denken diverser. Bei den älteren bin ich ein bisschen ratlos. Wir waren mit den Omas gegen rechts vor den Wahlen das erste Mal außerhalb von Potsdam in Brandenburg unterwegs. Da haben gerade junge Familien mit kleinen Kindern sehr negativ auf uns reagiert. Das hat mich erschrocken, weil ich das so aus Potsdam nicht kenne.“

Daniel Domscheit-Berg ist Mitbetreiber des offenen Kreativraums Verstehbahnhof in Fürstenberg/Havel:

„Das Wahlergebnis ist eine massive Katastrophe. Die AfD ist nur ganz knapp an einer Mehrheit vorbeigerutscht, die Rechtsextremen haben einen enormen Zulauf von jungen Wählern. Das kommt alles nicht überraschend, aber es ist richtig bitter. An diesem Ergebnis kann man nichts schönreden. Im Moment ist die einzige Hoffnung, die ich irgendwie habe, dass diese brutale Realität jetzt bei allen mal durchsickert, dass alle verstehen, was hier eigentlich passiert.

Ich war am Samstag beim CSD in Oranienburg: Es ist mir unbegreiflich, dass ich mit Mitte 40 heute zu so einer Veranstaltung gehen muss, weil ich dort Solidarität zeigen muss, weil ich Angst um meinen Nachwuchs habe. Das hätte ich mir in meinem Leben nicht träumen lassen. Und ich verstehe den Hass nicht. Da sind am Samstag auch rechte Jugendliche aus Fürstenberg angereist, die ich kenne, um gegen den CSD zu demonstrieren. Mit welcher Missachtung die uns gegenüberstanden – unbegreiflich. Warum können solche Leute, die sich stark fühlen wollen, nicht die Champions der Schwachen sein statt sich gegen die Schwächsten zu wenden? Ich verstehe es nicht.

Umso engagierter müssen wir jetzt nach dieser Wahl sein, wie auch immer das gehen soll. Wir sind ja schon alle ganz schön engagiert. Aber vielleicht müssen wir noch mal reflektieren, auf welchen Wegen wir Menschen erreichen. Wir haben da auch als Verstehbahnhof eine Riesenaufgabe vor uns: Wir sind ja ein Bildungsprojekt und es gibt ein massives Bildungsproblem, gerade bei den jungen Menschen, aber nicht nur dort. Daran müssen wir aktiv arbeiten. Wir müssen mit Leuten reden, müssen versuchen, sie abzuholen, dort, wo sie gedanklich stehen und ihnen erklären, warum die AfD keine Politik macht, die ihnen und anderen nützt. Dass das vollkommen wahnwitzige Ideen sind.

Das ist aber eine Aufgabe für uns alle: Reden mit den Nachbarn, mit den Eltern in unseren Schulen, mit den Leuten in unseren Sportvereinen. Wir müssen den Diskurs suchen, egal, wie unangenehm der auch sein mag. Das ist das Allerwichtigste. Niemand hier in Brandenburg kann sich mehr verstecken und das an irgendjemand anderen abgeben.

Natürlich wird unser Projekt im Visier der AfD stehen. Die nehmen ja alle ins Visier. Selbst die Feuerwehren, wenn die Partei etwa fordert, den Landesjugendring nicht mehr zu fördern. Und in den Feuerwehren sind nun mal die jungen Leute. Da sind den meisten die gesellschaftlichen Konsequenzen dieser AfD-Forderungen überhaupt nicht bewusst.

Mit dem Verstehbahnhof versuchen wir, uns jetzt finanziell bestmöglich unabhängig zu machen. Aber das wird nicht leicht. Vieles kann man ehrenamtlich machen, aber wenn wir irgendwann die Miete nicht mehr zahlen können, dann ist Schluss. Aber wir müssen alle weitermachen. Wir dürfen jetzt nicht umziehen, nicht den Kopf in den Sand stecken, nicht unsere Projekte infrage stellen. Wir dürfen denen nicht das Feld überlassen. Im Gegenteil. Alles, was wir machen, ist heute relevanter denn je. Wir brauchen jeden Einzelnen. Und wir müssen uns organisieren, damit die Schwächsten geschützt werden können für den Tag, an dem der Damm bricht. Die Neunziger dürfen sich nicht wiederholen.“

Der Verstehbahnhof ist Gewinner des diesjährigen taz Panter Preis in Brandenburg.

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