SPD-Bürgermeister in Sachsen: So normal wie nur möglich

In Sachsens Kommunen dominieren CDU und AfD. In ganz Sachsen? Nein, in der Gemeinde Großhartau herrscht ein schwuler Bürgermeister von der SPD.

Delegierte auf dem Bundesparteitag der SPD in Berlin im Dezember 2023 Foto: Stefan Boness/IPON

GROßHARTAU taz | Der Ort ist leicht zu übersehen. Fährt man mit der Bahn von Dresden nach Zittau, kommt man dran vorbei: Großharthau, knapp 3.000 Menschen sind dort gemeldet, sehr grün, am Rande ein Barockschloss, alles eine Pracht in der Westlausitz, auch hier. Der Bürgermeister heißt Jens Krauße – und er ist nicht deshalb eine Attraktion, weil er offen schwul lebt. Der eigentliche Knaller ist, dass er mehrfach wiedergewählt wurde: als Sozialdemokrat.

Neulich, bei den Kommunalwahlen, musste seine Partei zwar Federn lassen, die SPD verlor 9 Prozentpunkte an Zustimmung, die AfD lag bei 25 Prozent, aber die Sozialdemokraten, in deren Ergebnis die Wählenden der hier nicht mehr existenten Linkspartei mit einflossen, bekamen immer noch 46,1 Prozent. Sieben von 16 Sitzen, mit der bürgermeisterlichen Stimme sind das genug, um Jens Krauße, in Steinigtwolmsdorf an der Grenze zu Tschechien aufgewachsen, nicht überstimmen zu können.

Mit seinem SPD-Parteibuch ist er nicht nur in dieser Gegend politisch ein Exot. Überhaupt haben Sozialdemokraten in Sachsen jenseits der Großstädte so gut wie nichts mehr zu melden, schon gar nicht in den Gemeinden, in denen es um Turnhallen, kommunale Baupläne und Wasserversorgung, Kitas und Straßenpflege geht. Die Kräfte gehen in die großen Städte, Leipzig, Dresden und Chemnitz, dort sei man noch stark.

Krauße selbst, Jahrgang 1966, kam nach dem Ende der DDR in die SPD – wo es Bedenken gab, ihm die Parteimitgliedschaft zu bewilligen. Krauße war zuvor SED-Genosse, diente als Soldat im Wachregiment Feliks Dzierzynski, keine kleine Nummer im Sicherheitsapparat der SED. Dass man über seine Mitgliedschaft in der neugegründeten SPD debattierte, lag auch daran, dass man Masseneintritte von SED-GenossInnen verhindern wollte – um sich nicht vom alten DDR-Machtapparat auffressen zu lassen.

Jens Krauße, SPD Foto: Jan Feddersen

Die CDU habe es leichter gehabt, bei der habe man einfach die Ost-CDU (die „Blockflöten“) geschluckt und damit gleich über eine Parteistruktur verfügt. Eigentlich hat Jens Krauße, vom Typus her ein idealer Gemeindevorsteher, eine Mischung aus Herbergsvater und jovialer Nachbar mit akkurat gepflegtem Garten, Maschinenbau studieren wollen, das zerschlug sich aus verschiedensten Gründen. Im Gartenbetrieb seiner ersten Ehe mit einer Frau hat er dann gearbeitet – und begonnen sich zu überlegen, dass er gern Bürgermeister wäre; das Kümmern um andere, die Sorge ums gemeinsame lokale Wohl, erzählt er heute, liege ihm.

Vorbilder in der SPD? Schröder und Schmidt

Sind denn die Leute von Großhartau, die ihn mit verlässlich hohen Zustimmungsraten wiederwählen, so anders als in anderen Gemeinden, wo CDU und immer mehr die AfD den Ton angeben? Hat man es hier mit einem besonderen politischen Bewusstsein zu tun? Sachsen war mit seiner industriellen Struktur mal das Kernland der SPD, mit starken Gewerkschaften und gut erkämpften Lohnstrukturen. Vielleicht erinnere man sich daran?

Krauße sagt, nein, dieses Wissen ist so gut wie weg. Er erkläre sich die Zustimmung zu seiner Person dadurch, dass er seinen Job gut gemacht habe: „Weil man mich kennt, und im Lokalen hat man immer Sympathie auf seiner Seite, wenn man eine gute, zuverlässige Arbeit macht“. Hat er eigentlich Glückwünsche aus dem Willy-Brandt-Haus bekommen? Nein. Vielleicht, weil Großharthau, die Gemeinde, in der die meisten Autos haben und doch glücklich sind über Busverkehr und vor allem den Eisenbahnanschluss, dann doch zu wenig Gewicht hat.

Hat er Vorbilder in der SPD? Umgehend sagt er: „Schröder.“ Und nichts Schlechtes über Olaf Scholz, Lars Klingbeil und Saskia Esken, aber der wegen seiner Russlandpolitik verfemte Ex-Kanzler, der sei ein Politiker nach seinem Geschmack. Entschieden, kommunikativ im Vorwärtsmodus. Aber, ergänzt Krauße ungefragt, er habe ein viel größeres Idol: Helmut Schmidt. Den respektiert er, der habe eine Aura der Unverzagtheit verströmt, politisch klar: auch in Sachen Krieg & Frieden, da er hier mit seiner Partei auch nicht auf einem Nenner sei.

Die Partei des Bürgermeisters erhielt im Übrigen bei der Europawahl ein sachsenübliches Ergebnis, knapp oberhalb der Fünfprozenthürde, die AfD hingegen bekam ohne Krauße als Opponenten 20 Prozent mehr. Eine Frage noch zum Queeren: War er kürzlich in Bautzen beim nazigestörten CSD? Da habe es ihm und seinem Mann an Zeit gefehlt, aber er war beim Dresdner CSD dabei, Schirmherr der Parade für die AWO (Arbeiterwohlfahrt). Er lebt sein Anderssein wie in Großharthau im Rahmen aller anderen Normalitäten in dieser Gemeinde auch. Guter Mann.

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