Träume des Widerstands

WIDERSTAND Eine Ausstellung in der Villa Oppenheim erinnert an 32 Gegnerinnen des NS-Regimes

Die Nummer 79 in der Kantstraße scheint ein Haus wie jedes andere zu sein. Weiß und unauffällig. Kaum jemand ahnt, dass seine glatte Fassade eine raue Geschichte verbirgt. Wagt man jedoch einen Blick dahinter, so schaute man direkt in den Innenhof eines ehemaligen Gefängnisses. 1897 wurde dieses als Strafanstalt für Männer und Frauen eröffnet. Ab dem Ende der 1930er Jahre setzten die Nationalsozialisten dort ausschließlich Widerstandskämpferinnen fest.

An jene Periode erinnert nun eine Ausstellung in der Villa Oppenheim. Unter dem Titel „Die Träume einzig bleiben mir in meiner kahlen Zelle“ werden die Kurzbiografien von 32 Frauen präsentiert. Die meisten von ihnen gehörten der „Roten Kapelle“ an. Die Widerstandsorganisation, die sich um Arvid Harnack und Harro Schulze-Boysen gebildet hatte, verband Menschen mit ganz unterschiedlicher sozialer Herkunft oder Weltanschauung miteinander und hatte besonders viele weibliche Mitglieder. Es waren selbstbewusste, meist berufstätige Frauen, deren Lebensentwürfe dem nationalsozialistischen Bild von Weiblichkeit widersprachen.

Starke Persönlichkeit

Eine dieser starken Persönlichkeiten war Cato Bontjes van Beek. Sie druckte und verteilte Flugblätter, die zum Kampf gegen Hitler aufriefen. Als das NS-Regime ihr Todesurteil wegen „Beihilfe zur Vorbereitung zum Hochverrat“ fällte, war Cato gerade einmal 22 Jahre alt. Schon Jahre zuvor hatte sie von ihrer Hinrichtung geträumt: „Ich spürte das Messer an meinem Hals, einen Ruck – und hörte den Kopf nach hinten rollen … irgendwohin. Vielleicht in ein tiefes Loch, wo schon viele Köpfe lagen.“

Tagebucheinträge wie diese und Auszüge aus privaten Briefen enthüllen die Gedanken und Gefühle der Häftlinge oder erzählen von ihrem Gefängnisalltag. Die Frauen hatten ein tägliches Arbeitspensum zu erfüllen. Sie stopften Strümpfe für deutsche Soldaten, falteten Tausende Papierblumen für Kameradschaftsabende oder bemalten Postkarten. Einige von ihnen beschwerten sich über die Langeweile in ihrer kleinen, kahlen Zelle. Doch die meisten waren froh, in der Kantstraße gelandet zu sein. Oft hatten sie bereits härtere Strafanstalten oder wochenlange Verhöre überstanden. Das Besondere an diesem Gefängnis war, dass es nicht die Gestapo, sondern ein ehemaliges SPD-Mitglied leitete. Die Oberin Anne Weider behandelte ihre Häftlinge humaner – sie erlaubte tägliche Spaziergänge über den Hof, sorgte für besseres Essen und schaffte die ständigen Verhöre ab. Eine der Insassinnen berichtete, dass die Tänzerin Hanna Berger regelmäßig auf dem Gefängnisflur trainieren durfte. In schwarzem Trikot tanzte sie an den Zellentüren vorbei und flüsterte dabei ausgiebig mit anderen Häftlingen.

Ein trister Ort

Besonders gern tauschten sich die Frauen der „Roten Kapelle“ mit den sogenannten Sippenhäftlingen aus. Das waren die weiblichen Angehörigen der Attentäter vom 20. Juli 1944, darunter beispielsweise Melitta von Stauffenberg. Doch trotz der großen Solidarität, die unter den Gefangenen herrschte, war die Kantstraße 79 ein trister Ort. Viele Frauen verbrachten hier ihre letzte Nacht, bevor sie ins KZ abtransportiert oder in Berlin Plötzensee enthauptet wurden.

Nach 1945 diente das Gebäude einige Zeit als Frauenjugendgefängnis. Ab 1985 verstaubten Akten des Amtsgerichts darin, seitdem steht es weitgehend leer. In den nächsten Jahren soll die Nummer 79 zu einem Hostel umfunktioniert werden. Dann würden sich die kahlen Zellen in gemütliche Zimmer, die Gitter in Gardinen verwandeln. Doch es sollte einen Raum geben, der an die Vergangenheit dieses Ortes erinnert. Einen Raum, der die Geschichte der Widerstandskämpferinnen zeigt und bewahrt.

ANDRIN SCHUMANN

■ „Die Träume einzig bleiben mir in meiner kahlen Zelle“. Bis 31. Mai, Villa Oppenheim, Di.–Fr. 10–17 Uhr, So. 11–17 Uhr