Gesundheitsversorgung für alle: Fehlender Mut der Demokraten

Vor allem für Geflüchtete ist die medizinische Versorgung eingeschränkt. Eine Kampagne des Medibüros Berlin nimmt die Parteien in die Pflicht.

Wer immer es braucht Foto: dpa

BERLIN taz | Nach der Sitzung des Senats sitzt Bürgermeister Kai Wegner (CDU) vor der Presse. Er spricht nicht über Einsparpotenziale oder Symbolpolitik (Görlitzer Park), stattdessen präsentiert sich der Regierende als echter Macher. Er sagt: „Wir müssen uns ­bewusst machen, dass es Menschen in unserem Land gibt, die keinen Zugang zur Krankenversicherung haben – seien es Deutsche, Migrantinnen und Migranten oder Illegalisierte.“ Dies sei ihm gerade „als Christdemokrat“ besonders wichtig, denn „der Zugang zur medizinischen Versorgung ist ein ­universelles Menschenrecht“.

Hat das Vornamens-Abfrage-Kai wirklich gesagt? Selbstverständlich nicht. Selbstverständlich? Für das Medibüro Berlin, das mithilfe von Spenden Gesundheitsversorgung für nicht-versicherten Mi­gran­t:in­nen organisiert, ist es das nicht. Denn die demokratischen Parteien sind sich programmatisch prinzipiell einig: Gesundheit ist ein hohes Gut und Menschenrechte gelten für alle. Um den Widerspruch zwischen allgemeinen Lippenbekenntnissen und der konkret diskriminierenden Politik aufzuzeigen, hat das Medibüro die Kampagne AKKA in Leben gerufen – First Aid Argumentation-Kit Krankenversicherung für alle!

In fiktiven Reden wird Po­li­ti­ke­r:in­nen von CDU, SPD, FDP, Grünen und Linken ihr Einsatz für einen Zugang für alle ins Gesundheitssystem in den Mund gelegt. Das funktioniert unabhängig davon, ob dies mit Bezug auf „Solidarität“ (SPD) oder „Freiheit“ (FDP) erfolgt. Und es gibt für das Medibüro noch einen übergeordneten Grund: „Wir nehmen die demokratischen Parteien beim Wort, sich von der AfD und anderen rechtsextremen und fremdenfeindlichen Positionen unterscheiden zu wollen.“

Vor den kommenden Landtagswahlen könnten mutige De­mo­kra­t:in­nen darüber sprechen, dass es sich eine Gesellschaft nicht leisten kann, Menschen unversorgt zu lassen oder wie bei Asylsuchenden nur in Notfällen zu versorgen.

Allein die Streichung des urdeutschen Paragrafen 87 des Aufenthaltsgesetzes würde die Situation verbessern. Demnach müssen Sozialämter bei der Ausstellung eines Krankenscheins die Daten von Mi­gran­t:in­nen ohne Papiere an die Ausländerbehörde weitergeben, also mit Abschiebung bedrohen. Darüber hinaus wäre auch eine richtige Lösung denkbar: die Aufnahme aller hier lebenden Menschen in eine Krankenkasse.

Versorgung über Umwege

In Berlin sind Menschen ohne Versicherung bislang auf die Hilfe vom Medibüro oder der vom Senat finanzierten Clearingstelle angewiesen, die im vergangenen Jahr mit einem Etat von 2,6 Millionen Euro Behandlungsgutscheine ausstellen durfte. Doch der Bedarf ist damit nicht gedeckt und die Clearingstelle als befristetes Projekt stets gefährdet. In Brandenburg gar fehlen solche Strukturen ganz.

Die Kampagne kommt zum ungünstigsten Zeitpunkt. Nach dem Attentat von Solingen wetteifern Politiker:in­nen wieder darum, wer die beste AfD-Sprechpuppe abgibt. Aber man wird ja noch träumen dürfen. Von Kai Wegner, wie er sagt: „Sie müssen entscheiden, ob es ein Weiter-so gibt oder einen echten Neustart.“

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