Grüne planen „Befreiungsschlag“

Bei einem Geheimtreffen der Spitzen am Sonntag soll die Ablösung von der SPD vollzogen werden – der Ausstieg aus der Koalition ist nur eine Option

AUS BERLIN PATRIK SCHWARZ

In der grünen Spitze wird intensiver als bisher bekannt über eine Abgrenzung vom Koalitionspartner SPD nachgedacht. Dabei stehen nach Informationen der taz verschiedene Modelle zur Diskussion, von denen das radikalste der vorzeitige Ausstieg aus der Regierung ist. Dieser Schritt hat im Führungskreis aus MinisterInnen, Partei- und Fraktionsspitzen zwar Fürsprecher, aber keine Mehrheit.

Eine Gruppe von drei bis vier Mitgliedern befürwortet demnach den sofortigen Koalitionsausstieg, weil er zwar Risiken berge, aber die einzige Chance der Grünen für einen „Abschied in Würde“ sei. Auf diese Weise könne die Partei im Wahlkampf die Erfolge der Koalition weiterhin selbstbewusst vertreten, aber auch deutlich machen, dass sie an eine Zukunft jenseits der Regierungsbeteiligung glaube. „Die Grünen dürfen nicht an der Macht kleben, wenn es nichts mehr zu machen gibt“, sagt ein Verfechter dieses Standpunkts. Eine nahezu gleich große Zahl entschiedener Gegner, darunter der neu ernannte Wahlkampfkoordinator und Fischer-Vertraute Fritz Kuhn, warnen, der Koalitionsbruch führe im Gegenteil zum Absturz in die Bedeutungslosigkeit und könne die Grünen um den Wiedereinzug in den Bundestag bringen. „Dann sind wir tot.“ Den Positionen beider Gruppen liegen unterschiedliche Einschätzungen der Lage zugrunde. Die Ausstiegsbefürworter glauben nicht mehr an ein „Wunder“ wie beim Wahlsieg 2002. Die Gegner wollen diese „letzte Chance“ nicht ohne Not verschenken.

Der informelle Parteivorsitzende, Vizekanzler Joschka Fischer, steht offenbar zwischen beiden Lagern, hält aber die Folgen eines Koalitionsbruchs für unabsehbar. Gleichzeitig sieht er ungeachtet seiner öffentlichen Bekenntnisse zur Regierung die Notwendigkeit für einen klaren und großen Schritt der Grünen. Intern ist die Rede von einem „Befreiungsschlag“ als Alternative zum Koalitionsbruch.

Bei der SPD ist infolge dieser Entwicklung die Sorge vor einem, wie es heißt, „unüberlegten Schritt“ des Koalitionspartners in den letzten Tagen deutlich gestiegen. Kanzler Schröder hatte bereits am Dienstag im SPD-Vorstand ohne äußeren Anlass „Gerüchte“ zurückgewiesen, die Grünen hätten erwogen, das Bündnis mit der SPD aufzukündigen. Dabei sagte Schröder laut Tagesspiegel auch, Fischer habe ihm telefonisch versichert, dass die Gerüchte falsch seien. „So stimmt das nicht“, heißt es dagegen auf grüner Seite.

Angesichts der Mischung aus Verwirrung und Uneinigkeit in der grünen Spitze ist für den kommenden Sonntag ein „Geheimtreffen“ des inneren Führungskreises geplant. Nach Einschätzung einiger Diskutanten ist dieser Tag die letzte Möglichkeit für die Grünen, aus freien Stücken zu handeln. Am Montag rufen die Präsidien von CDU und CSU Angela Merkel zur Kanzlerkandidatin der Union aus. „Damit beginnt die Kanzlerschaft Angela Merkels“, sagt einer aus dem Kreis. Danach werde jede Bewegung der Grünen in den Medien als Reaktion auf Merkel dargestellt werden und damit den Charakter eines Befreiungsschlages verlieren.

Auch symbolisch wird dem Sonntag Bedeutung beigemessen, da SPD-Chef Müntefering den Plan für Neuwahlen am Sonntag zuvor verkündete. Befürworter eines radikalen Schnitts messen dem „Gleichziehen mit der SPD“ zentrale Bedeutung bei. Nur so sei der Schritt öffentlich zu vermitteln, heißt es. Die Grünen dürften nicht als Verräter an der SPD erscheinen, sondern müssten klar machen, dass sie den Kanzler beim Wort nähmen. Bereits am letzten Sonntag war der grüne Führungskreis in einer Berliner Wohnung zusammengekommen, hatte sich aber angesichts der kurzen Vorwarnzeit durch die SPD nicht auf eine tragfähige Linie einigen können.