So einsam im Sattel

Männern traut man richtigen Liebeskummer gar nicht zu, dabei leiden sie im Fall einer Trennung oft stärker als Frauen. Gerade weil sie meist heimlich, still und leise trauern

VON MARTIN REICHERT

Das Buch „Wenn Männer zu sehr lieben“ ist bisher noch nicht geschrieben worden – extreme Leidensfähigkeit in Liebesdingen wird traditionell eher Frauen zugeschrieben. Männer, so heißt es, gehen nach einer gescheiterten Beziehung in die Kneipe, um sich zu betrinken, oder stürzen sich in die Arbeit. Oder beides. Männer mit Liebeskummer? Gelten eher als Witzfiguren, allenfalls als sympathische Verlierer – weswegen man die Betroffenen kaum je zu Gesicht bekommt.

Männer sprechen meist nicht darüber, wenn ihnen ihre Emotionen über den Kopf wachsen, schon gar nicht mit anderen Männern: Wenn ihnen plötzlich die Lebensfreude abhanden kommt, sie unter Schlaflosigkeit, Zukunftsängsten und Depressionen leiden, wenn der Appetit nachlässt und sich der Waschbrettbauch so von ganz allein einstellt. Liebeskummer, eine Volkskrankheit, die in keiner WHO-Liste auftaucht, keinen klinischen Befund ergibt und deren volkswirtschaftlicher Schaden bislang noch nicht bemessen wurde. Liebeskummer kann zu schweren körperlichen Erkrankungen führen, Menschen in den Suizid treiben oder zu einem Mord animieren – unerwiderte Liebe und der Verlust eines Partners sind die häufigsten Ursachen für Selbstmord bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Fast alle Menschen erleiden ein oder oder mehrmals in ihrem Leben Liebeskummer, natürlich auch Männer.

Die Mannheimer Psychotherapeutin und Buchautorin Doris Wolf („Wenn der Partner geht. Wege zur Bewältigung von Trennung und Scheidung“, PAL Verlag, Mannheim 2001, 12,80 Euro) hat die Erfahrung gemacht, dass in der Regel mehr Frauen als Männer in ihre Praxis kommen, wenn sie unter Trennungsproblemen leiden, wenngleich die Anzahl der Männer in den letzten Jahren gestiegen sei. Dennoch: „Männer leiden aus meiner Erfahrung stärker als Frauen. Dies ist damit zu erklären, dass Männer eher gewöhnt sind, Kontrolle über Situationen zu haben, und deshalb durch das Verlassenwerden das Selbstwertgefühl bedrohter ist. Männer sind es zudem weniger gewohnt, über ihre Gefühle zu sprechen bzw. mit ihren Gefühlen umzugehen.“ Hinzu kommt, dass Männer meist keinen Freundeskreis haben, der sie unterstützt. Die einzige Bezugsperson, mit der sie über Intimstes zu sprechen bereit sind, ist oft die Partnerin. Unpraktisch im Fall einer Trennung. Was dann tun?

Doris Wolf rät unter anderem, sich Zeit zu nehmen, seine Gefühle auszudrücken: über Musik, Malen, Schreiben, Sprechen und Weinen. Mit der geringen Bereitschaft, über Erlittenes zu sprechen oder dieses gar zu beweinen, lässt sich der Output männlicher Liebeslyrik, meist in Form von Songtexten, erklären. Der gitarrenbegleitete Ausdruck von Herzschmerz in Liedform gilt als eine der wenigen legitimen Formen männlicher Liebesleidensfähigkeit. Auch wenn es sich bei den meisten Popsongs eher um ein Liebeswerben, eine Art Sängerwettstreit in der Tradition des mittelalterlichen Minnesangs handelt, bei dem es schließlich auch mehr um die Selbstdarstellung des Künstlers ging, so verdanken wir dem Phänomen Liebeskummer doch einige musikalische Perlen: Love hurts. Blumfeld ist hingegen ziemlich langweilig geworden, seitdem Sänger Jochen Distelmeyer glücklich liiert ist, und von Chris Martin (Coldplay) hatte man seit seiner Heirat lange nichts mehr gehört – dabei konnte er so bezaubernd leiden. Einigen wenigen gelingt es auch, ihr Unglück in Druckfähiges zu verwandeln; wir erinnern uns an den frühen Stuckrad-Barre oder das programmatische, da angemessen selbstironische Werk „Es ist so einsam im Sattel, seit das Pferd tot ist“ von Selim Özdogan.

Junge Männer hoffen in desperaten Situationen, mit treu-traurigem Hundeblick in den Genuss weiblichen Mitleids zu kommen. Das gibt es aber höchstens von Mutti, andere Frauen finden es nicht sonderlich attraktiv, wenn ein Mann immer an eine andere denkt. „Die eine“ darf es schließlich nur einmal geben.

Cowboys setzen auf andere Strategien: „Man muss den Schmerz ausbrennen wie eine Wunde. Es nutzt überhaupt nichts, daran wochenlang herumzutupfen“, berichtet Armin Lux (32), passionierter Motorradfahrer und erfahren in Liebeskummerangelegenheiten. Er spricht durchaus mit seinen Freunden darüber, wenn ihn emotional der Schuh drückt, gerne auch bei einem Bier. Er will sich jedoch nicht jahrelang damit beschäftigen, sondern möglichst schnell wieder auf die Beine kommen, nach vorne blicken. Sich einfach auf das Motorrad setzen und neue Welten erkunden. „Sich zu fragen: ‚Was hat der, was ich nicht habe?‘ “, sagt er, „tut einfach zu weh und bringt nichts.“ Den schönsten Song zum Thema Liebeskummer hat seiner Meinung nach Leonard Cohen geschrieben: „One Of Us Cannot Be Wrong“. Auch Cowboys leiden. Auch?

„In puncto Liebeskummer gibt es gar keine großen Unterschiede zwischen Männern und Frauen, die Geschlechter nähern sich ohnehin immer weiter an, das ganze ‚Männer sind so und Frauen sind so‘ ist mittlerweile doch nur noch klischeehaft“, findet Wolfgang John, der in Hamburg eine Beratungspraxis namens „Der neue Mann“ führt. Dennoch konstatiert auch er nach wie vor feine Unterschiede. Den „besten Freund“ gebe es bei Männern in der Tat seltener, meist handele es sich um „Kollegen“, Kumpels: „Der Umgangsstil ist einfach ein anderer, da wird dann eben nicht stundenlang telefoniert. Die Gespräche sind eher lösungsorientiert, man gibt sich gegenseitig konstruktive Ratschläge. Frauen hingegen bestätigen ihre beste Freundin oft nur in ihren Positionen. So nach dem Motto ‚Ja, ja, die Scheißmänner‘. Das macht die Bewältigung einer gescheiterten Beziehung nicht wirklich leichter.“

Männer kommen nicht in seine Praxis, um über Liebeskummer zu sprechen, sondern weil sie begreifen möchten, warum ihre Beziehung gescheitert ist, was sie falsch gemacht haben. Männern empfinden das Ende einer Liebe oft als persönliches Scheitern, als Versagen: „Männer sehen sich immer auf der Anklagebank, sie sind oft überfordert. Sie sollen Zeit für die Familie aufwenden, sensibel sein, zuhören, die Kinder mit erziehen und gleichzeitig die materiellen Grundlage für die Familie schaffen. Die Frauen haben ihre Erwartungen an den Mann erhöht, meist jedoch, ohne selbst einen finanziellen Ausgleich zu schaffen.“

John behandelt überwiegend Männer, deren Leben komplett zusammengebrochen ist, weil die Ehefrau die Scheidung eingereicht und die Kinder gleich mitgenommen hat. Abgeliebte Männer. Väter, die sich in Form von Vaterrechtsorganisationen zunehmend auch öffentlich bemerkbar machen – sie kämpfen um Besuchs- und Sorgerechte und mittelbar um die Anerkennung ihrer Gefühle.

Die Trennung kommt für Männer oft aus heiterem Himmel, zumindest empfinden sie es so. Man könnte auch sagen: Sie haben vorher die Signale missachtet, nicht zugehört, die Krise nicht ernst genommen. Die meisten Beziehungen werden einseitig beendet, einer der Beteiligten wird also plötzlich auf einen Psychotrip mit individuellem Verlauf geschickt: Es beginnt mit der Panikphase, die unter der Überschrift „Warum?“ eingeläutet wird. Es handelt sich um einen Schockzustand, in dem Ängste und Depression einander ablösen. Nach dem ersten Durcheinander keimt meist noch einmal die Hoffnung auf, dass die Partnerin zurückkommt. Falls dem nicht der Fall sein sollte, folgt nun die dritte Phase, die der Kapitulation: Kummer und Schmerz werden zur Krankheit, man zieht sich zurück, verweigert Nahrungsaufnahme und Aktivität. Das Bett wird zum einzigen Platz auf Erden, an dem man es noch aushält – im schlimmsten Fall kann diese Phase über ein Jahr andauern – ein Zeitraum, in dem Menschen normalerweise sogar verkraften, dass sie ein Bein verloren haben. Erst danach folgt die erlösende „Akzeptanz- und Neuorientierungsphase“. Andere Mütter haben auch schöne Töchter.

„Zu mir kommen zwar hauptsächlich Männer, dafür aber höchstens siebenmal“ erklärt die psychologische Beraterin Silvia Fauck, die in Hamburg Deutschlands erste und einzige Liebeskummer-Praxis betreibt. „Viele sind zunächst am Boden zerstört und weinen ununterbrochen, nach ein paar Wochen rufen sie dann an und erzählen, dass sie auf der Rolltreppe eine interessante Frau kennen gelernt haben, und schon ist ihr Selbstwertgefühl wieder aufgerichtet. Bei mir in der Praxis erlebe ich Frauen und Männer als komplett unterschiedlich. Männer leiden ganz anders. Während Frauen erst mal allein bleiben wollen, suchen Männer sofort eine neue Partnerin, das ist schon eigenartig“.

Silvia Fauck bietet Lebenshilfe an, bei ihr können sich Männer auf der kostenpflichtigen Hotline ausweinen, sie gibt, anders als Psychotherapeuten, konkrete Tipps und Ratschläge. Sie begreift sich als Heilpraktikerin, als Dienstleisterin am Menschen, die dort zu arbeiten anfängt, wo die Gender-Debatte aufhört, also mitten im Leben: „Die meisten Männer kommen heimlich zu mir, nie über Empfehlung von einem Freund, manche rufen nachts betrunken an, weil sie mich beim einsamen Surfen im Internet entdeckt haben. Sie wollen reden, aber nicht mit einem Mann.“ Die Homepage www.liebes kummer-praxis.com ist für manchen akut Betroffenen ein Rettungsanker. „Ein wirklich guter Freund von mir konnte nicht mal mit mir über seinen Liebeskummer sprechen, stattdessen hat er sechs Wochen lang jede Nacht gekotzt und konnte nicht schlafen“, sagt Silvia Fauck. Die Idee zu der Praxis hatte sie, weil neun von zehn Menschen, die ihren Rat suchten, mit Liebeskummer zu ihr kamen. Eine Kassenzulassung hat Silvia Fauck nicht – und braucht sie auch nicht: Die Kasse zahlt sowieso nicht für die Behandlung von Feld-Wald-und-Wiesen-Liebeskummer. Liebeskummer ist ein Markt, und Faucks Rechnungen sind von der Steuer absetzbar.

Auch wenn Männer mit Liebeskummer gerne die Flucht nach vorne antreten, bedeutet dies nicht, dass sie nicht leiden würden. Ihr im Extremfall in kriminelle Energie umschlagender Aktivismus – man denke an Amoklauf oder Stalking – widerspricht dem nicht. Die Therapeutin Doris Wolf weiß: „In vielen Untersuchungen wird deutlich, dass sich Männer sehr viel schwerer damit tun, ihr Leben ohne Partner zu arrangieren. Sie werden häufiger krank und lassen im Beruf stark in den Leistungen nach.“ Weil sie den Schmerz nicht aushalten, suchen sie sich oft schnell eine neue Partnerin – auch wenn sie den nötigen Ablösungsprozess noch nicht vollständig durchlaufen haben. Diese Strategie wird von männlichen Freunden unterstützt, die sie recht bald mit anderen Frauen in Kontakt bringen. Überhaupt können verlassene Männer mit Unterstützung rechnen, auch von weiblicher Seite: „Von der Umwelt bekommen sie nach einer Trennung meist mehr Unterstützung als Frauen, weil sie ja ‚in vielen Dingen hilfloser sind‘ “, berichtet Doris Wolf. Wenn Männer zu sehr lieben, ist das Rettende oft nah.

MARTIN REICHERT, 32, lebt glücklich liiert in Berlin. Den größten Liebeskummer seines Lebens erlitt er vor sieben Jahren und möchte so etwas nie wieder erleben