Justiz und Polizei kuscheln zu viel: Kritische Distanz zur Polizei
Hamburger Richter*innen hospitieren bei der Polizei, um deren Arbeit besser zu verstehen. Doch Justiz und Polizei sind schon viel zu eng verzahnt.
Polizist*innen wird vor Gericht oft geglaubt, auch wenn die Indizien das nicht hergeben Foto: Stefan Puchner/dpa
Manche hören auch im Ruhestand nicht auf, Unruhe zu stiften. Was durchaus positiv sein könnte! Im Fall des pensionierten Hamburger Amtsrichters Johann Krieten ist es leider das Gegenteil. Der „Richter Knallhart“ a. D. hat sich ein Projekt überlegt, um „die Arbeit von Justiz und Polizei besser zu verzahnen“ – so berichtet es das Hamburger Abendblatt. Richter*innen sollen demnach bei der Polizei hospitieren, um die Anforderungen und Arbeitsabläufe dort besser zu verstehen.
Das Angebot werde gut angenommen – bereits 80 Mal hätten Richter*innen schon Polizist*innen bei Großeinsätzen wie Demonstrationen, Fußballspielen oder Razzien begleitet, oder einfach den Beamt*innen der Davidwache auf der Reeperbahn über die Schulter geguckt.
Die Idee, die Arbeit von Justiz und Polizei enger zu verzahnen, ist völlig irre, denn die Arbeit ist durch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaften, die auf den Ermittlungen der Polizei basieren, schon viel zu eng verzahnt. Die Staatsanwaltschaften sind auf eine enge Kooperation mit der Polizei angewiesen, außerdem kennt man sich natürlich, wenn man täglich miteinander zu tun hat.
Polizist*innen genießen dadurch einen Vertrauensvorschuss vor Gericht, der ihnen eine Art Immunität verleiht. Sie werden äußerst selten für ihre Vergehen angeklagt, geschweige denn verurteilt, selbst wenn die Beweise erdrückend, die Aussagen untereinander abgesprochen und hanebüchen sind.
Bürger*innen werden doppelt bestraft
Im Sinne einer unabhängigen und selbstbewussten Justiz wäre es, sich von der Polizei zu emanzipieren und Distanz herzustellen. Dazu würde es auch gehören, die Unart zurückzuweisen, dass Polizist*innen immer reflexhaft eine Gegenanzeige stellen, wenn jemand sie anzeigt. Durch die Gegenanzeigen werden Bürger*innen, die Opfer von Polizeigewalt werden, oft doppelt bestraft. Die Justiz macht sich lächerlich, wenn sie dieser Machtdemonstration der Polizei weiter folgt und sinnlose Prozesse führt, bei denen Opfer von Polizeigewalt des Widerstands und tätlichen Angriffs bezichtigt werden.
Wenn Richter*innen das Gefühl haben, nicht gut urteilen zu können, weil sie keinen Einblick in die Lebensrealitäten vieler Bürger*innen haben, sollten sie dort hospitieren, wo es nötig ist. Sozialrichter*innen könnten Menschen zum Jobcenter begleiten, Verwaltungsrichter*innen könnten mit Betroffenen zur Ausländerbehörde gehen. Sicher würde es nicht schaden, selbst zu erleben, wie willkürlich und unwürdig der Umgang mit den Betroffenen dort ist.
Strafrichter*innen könnten, anstatt mit Polizist*innen Kleindealer zu jagen, Geflüchtete begleiten, die in Ermangelung einer Arbeitserlaubnis auf der Straße Drogen verkaufen. Sie könnten mit Klimaschützer*innen mitgehen, die sich ans Flughafenrollfeld kleben, mit Demonstrant*innen mitlaufen, die gegen staatliche Repression und Klassenjustiz protestieren. So würden sie bestimmt einiges Verständnis dafür entwickeln, wenn Menschen hier und da eine Gesetzesüberschreitung begehen, um sich gegen die größeren Unzumutbarkeiten des Kapitalismus zu wehren.
Praktikum bei der Bahnhofsmission
Vielleicht würde es endlich ein Ende finden, dass Menschen in den Knast gesperrt werden, weil sie arm sind und ohne Ticket S-Bahn fahren oder in einem Bahnhof schlafen. Die NGO Freiheitsfonds kauft in der kommenden Woche die tausendste Person frei, die wegen ticketlosen Fahrens inhaftiert wurde. Das ist sehr ehrenvoll. Man könnte das Geld aber auch anders verwenden, als es der Staatskasse zu schenken, wenn Richter*innen von vornherein darauf verzichten würden, Menschen wegen ihrer Armut zu bestrafen.
Ein Praktikum bei der Bahnhofsmission wäre vielleicht auch was für den gelangweilten Pensionär Johann Krieten. Da könnte er vielleicht seinen Horizont erweitern (es ist nie zu spät!), anstatt der Polizei Geschenke zu machen und damit die Klassenjustiz zu zementieren.
Justiz und Polizei kuscheln zu viel: Kritische Distanz zur Polizei
Hamburger Richter*innen hospitieren bei der Polizei, um deren Arbeit besser zu verstehen. Doch Justiz und Polizei sind schon viel zu eng verzahnt.
Polizist*innen wird vor Gericht oft geglaubt, auch wenn die Indizien das nicht hergeben Foto: Stefan Puchner/dpa
Manche hören auch im Ruhestand nicht auf, Unruhe zu stiften. Was durchaus positiv sein könnte! Im Fall des pensionierten Hamburger Amtsrichters Johann Krieten ist es leider das Gegenteil. Der „Richter Knallhart“ a. D. hat sich ein Projekt überlegt, um „die Arbeit von Justiz und Polizei besser zu verzahnen“ – so berichtet es das Hamburger Abendblatt. Richter*innen sollen demnach bei der Polizei hospitieren, um die Anforderungen und Arbeitsabläufe dort besser zu verstehen.
Das Angebot werde gut angenommen – bereits 80 Mal hätten Richter*innen schon Polizist*innen bei Großeinsätzen wie Demonstrationen, Fußballspielen oder Razzien begleitet, oder einfach den Beamt*innen der Davidwache auf der Reeperbahn über die Schulter geguckt.
Die Idee, die Arbeit von Justiz und Polizei enger zu verzahnen, ist völlig irre, denn die Arbeit ist durch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaften, die auf den Ermittlungen der Polizei basieren, schon viel zu eng verzahnt. Die Staatsanwaltschaften sind auf eine enge Kooperation mit der Polizei angewiesen, außerdem kennt man sich natürlich, wenn man täglich miteinander zu tun hat.
Polizist*innen genießen dadurch einen Vertrauensvorschuss vor Gericht, der ihnen eine Art Immunität verleiht. Sie werden äußerst selten für ihre Vergehen angeklagt, geschweige denn verurteilt, selbst wenn die Beweise erdrückend, die Aussagen untereinander abgesprochen und hanebüchen sind.
Bürger*innen werden doppelt bestraft
Im Sinne einer unabhängigen und selbstbewussten Justiz wäre es, sich von der Polizei zu emanzipieren und Distanz herzustellen. Dazu würde es auch gehören, die Unart zurückzuweisen, dass Polizist*innen immer reflexhaft eine Gegenanzeige stellen, wenn jemand sie anzeigt. Durch die Gegenanzeigen werden Bürger*innen, die Opfer von Polizeigewalt werden, oft doppelt bestraft. Die Justiz macht sich lächerlich, wenn sie dieser Machtdemonstration der Polizei weiter folgt und sinnlose Prozesse führt, bei denen Opfer von Polizeigewalt des Widerstands und tätlichen Angriffs bezichtigt werden.
Wenn Richter*innen das Gefühl haben, nicht gut urteilen zu können, weil sie keinen Einblick in die Lebensrealitäten vieler Bürger*innen haben, sollten sie dort hospitieren, wo es nötig ist. Sozialrichter*innen könnten Menschen zum Jobcenter begleiten, Verwaltungsrichter*innen könnten mit Betroffenen zur Ausländerbehörde gehen. Sicher würde es nicht schaden, selbst zu erleben, wie willkürlich und unwürdig der Umgang mit den Betroffenen dort ist.
Strafrichter*innen könnten, anstatt mit Polizist*innen Kleindealer zu jagen, Geflüchtete begleiten, die in Ermangelung einer Arbeitserlaubnis auf der Straße Drogen verkaufen. Sie könnten mit Klimaschützer*innen mitgehen, die sich ans Flughafenrollfeld kleben, mit Demonstrant*innen mitlaufen, die gegen staatliche Repression und Klassenjustiz protestieren. So würden sie bestimmt einiges Verständnis dafür entwickeln, wenn Menschen hier und da eine Gesetzesüberschreitung begehen, um sich gegen die größeren Unzumutbarkeiten des Kapitalismus zu wehren.
Praktikum bei der Bahnhofsmission
Vielleicht würde es endlich ein Ende finden, dass Menschen in den Knast gesperrt werden, weil sie arm sind und ohne Ticket S-Bahn fahren oder in einem Bahnhof schlafen. Die NGO Freiheitsfonds kauft in der kommenden Woche die tausendste Person frei, die wegen ticketlosen Fahrens inhaftiert wurde. Das ist sehr ehrenvoll. Man könnte das Geld aber auch anders verwenden, als es der Staatskasse zu schenken, wenn Richter*innen von vornherein darauf verzichten würden, Menschen wegen ihrer Armut zu bestrafen.
Ein Praktikum bei der Bahnhofsmission wäre vielleicht auch was für den gelangweilten Pensionär Johann Krieten. Da könnte er vielleicht seinen Horizont erweitern (es ist nie zu spät!), anstatt der Polizei Geschenke zu machen und damit die Klassenjustiz zu zementieren.
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Schwerpunkt Armut
Kommentar von
Katharina Schipkowski
Redakteurin | taz Nord
Jahrgang 1986, hat Kulturwissenschaften in Lüneburg und Buenos Aires studiert und wohnt auf St. Pauli. Schreibt meistens über Innenpolitik, soziale Bewegungen und Klimaproteste, Geflüchtete und Asylpolitik, Gender und Gentrification.
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