„Ständig das Gefühl, dort unten sitzen Mörder“

Die israelische Schauspielerin und gebürtige Kölnerin Orna Porat wird anlässlich der 40-jährigen diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel von der Stadt Köln geehrt. Im Gespräch mit der taz erzählt sie von den Gründen für ihre Emigration und über ihre Arbeit am Theater in Tel Aviv

INTERVIEW ULRIKE KLAUSMANN

taz: Frau Porat, wie sind Sie nach Israel gekommen?

Orna Porat: Ich war nach meiner Ausbildung an der Kölner Schauspielschule seit 1942 in Schleswig engagiert. Als ich nach Kriegsende erfuhr, was sich etwa im KZ Bergen-Belsen abgespielt hatte, habe ich mir gesagt, unter diesen Umständen kann ich hier nicht länger bleiben. Als Schauspielerin mein Herz und meine Seele mit den Zuschauern zu teilen und dann ständig das Gefühl zu haben, dort unten sitzen Mörder, dazu war ich nicht fähig.

Und so habe ich beschlossen, nach Russland auszuwandern, das erschien mir damals als das Paradies des Sozialismus. Schleswig war zu jener Zeit von den Briten besetzt, und ein junger Mann von der britischen Armee, ein Kölner Jude, der ins Exil gegangen war, fragte mich, warum eine deutsche Schauspielerin ausgerechnet nach Russland auswandern wolle. Er fand heraus, dass ich keine Nazi war, die fliehen wollte, und ich habe mich sofort in seine wunderschönen blauen Augen verliebt. So ging ich mit ihm Ende 1947 nach Israel – oder vielmehr ins damalige Palästina.

Wie wurden Sie als Deutsche in Israel aufgenommen?

Obwohl ich selbst „sauber“ war, bin ich mit einem Schuldgefühl in Israel angekommen. Mein Mann hatte hier zwei Brüder und eine Schwester, die ihre Mutter in Auschwitz verloren hatten, der Vater wurde in Antwerpen umgebracht. Trotzdem haben sie mich mit einer Liebe und einem Verständnis aufgenommen, als sei ich seit eh und je ein Mitglied der Familie. So war es auch am Theater in Tel Aviv. Ein Jahr nachdem ich eingewandert war, hatte ich eine Premiere auf Hebräisch. Ich habe nie – weder durch Blicke, noch durch Bemerkungen – das Gefühl gehabt, dass die Menschen mich nicht akzeptieren. Dass ich mich in Israel nicht nur zu Hause fühlen, sondern auch unbedingt mithelfen wollte, den neuen Staat zu begründen, war für sie genug.

Wie kam es dazu, dass Sie das Nationale Theater für Kinder und Jugend gründeten?

In der israelischen Gesellschaft steht das Kind im Mittelpunkt. In Deutschland hingegen hieß es in der Familie immer: Sei ruhig, setz dich hin und mach einen Knicks. Als ich 1970 unserem damaligen Erziehungsminister Ygal Allon vorschlug, ein Theater für Kinder aufzubauen, war er sofort einverstanden. Die besten Schauspieler, Regisseure und Bühnenbildner haben wir engagiert. 19 Jahre lang habe ich das Theater geleitet. Es ist ein sehr gutes Theater mit sieben Produktionen im Jahr.

Wie haben Sie sich anfangs in Israel gefühlt?

Ich habe mich zum ersten Mal zu Hause gefühlt. Die Herzlichkeit der Menschen, der Intellekt, der Humor, die Vielseitigkeit der Sprachen – das ist für mich faszinierend. Obwohl die politische Lage in Israel fast hoffnungslos ist, möchte ich nirgend woanders leben.

Bereits ein Jahr nach Ihrer Einwanderung haben Sie schon auf der Bühne Hebräisch gesprochen. War das nicht unglaublich schwierig?

Im ersten Jahr war das eine Katastrophe und jeden Abend eine furchtbare Belastung. Denn ich dachte noch nicht auf Hebräisch. Ich wäre nicht in der Lage gewesen, etwas zu erfinden, sollte ich einmal den Text vergessen. Gott sei Dank haben die Kritiker und das Publikum mich gut aufgenommen. Nach drei Jahren habe ich dann auf Hebräisch gedacht – eine schwierige, aber wunderbare Sprache. Manche Stücke eignen sich ausgesprochen für eine Übersetzung ins Hebräische. Ich habe zum Beispiel die „Bluthochzeit“ von García Lorca gespielt.

Und Schiller auf Hebräisch?

Ich bin wegen der Jungfrau von Orléans zum Theater gegangen. Als ich in Köln war, hätte ich nie gedacht, dass ich jemals die Heilige Johanna auf Hebräisch spielen würde. Das war nicht nur die Erfüllung eines großen Wunsches, es wurde auch ein großer Erfolg.

Wie sind Sie als Deutsche denn beim israelischen Publikum angekommen?

Es ist wirklich rührend, wenn ich in Tel Aviv etwa zum Supermarkt gehe, dass die Leute zu mir kommen und sagen: Ich muss dich jetzt mal umarmen. Dagegen kann man sich gar nicht wehren. Weshalb geht ein Schauspieler zur Bühne? Er will im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen, er will die Liebe des Publikums. Ich habe das nicht nur auf der Bühne, sondern im täglichen Leben.

Freuen Sie sich auf Ihren Besuch in Köln?

Wenn ich nach Köln komme, gehe ich als erstes zur Rievkuche-Bude. Und dann der Dialekt – der ist ja so wunderbar. Die Menschen haben etwas Besonderes, sie sind nicht so stur. Ich bin wirklich gerne in Köln.