Zu gute Deutschkenntnisse behindern Integration

An der Kölner Volkshochschule bekommen Ausländer gemäß Zuwanderungsgesetz einen 600-Stunden-Kurs Deutsch für Anfänger. Um die Sprache zu erlernen und qualifizierte Arbeit zu finden, reicht das nicht. Aber Fortgeschrittenenkurse, die zu mehr Integration führen könnten, werden nicht gefördert

VON CLAUDIA LEHNEN

Mit dem Arzt aus der ehemaligen Sowjetunion konnte sie so richtig nett plaudern. Nicht etwa auf Russisch, sondern auf Deutsch. Und genau da lag das Problem. Maria Germann-Demirci, Fachbereichsleiterin Integrationskurse bei der Volkshochschule Köln, musste den Mediziner, der in Deutschland arbeiten wollte, wieder nach Hause schicken. Obwohl er eine Bescheinigung vom Ausländeramt erhalten hatte, traf für ihn das Zuwanderungsgesetz nicht zu. Das sieht vor, dass Ausländerinnen und Ausländer kostenfrei an einem Integrationskurs teilnehmen dürfen, wenn sie erstmals eine Aufenthaltserlaubnis zu Erwerbszwecken erhalten haben und über keine finanziellen Mittel verfügen. Der Grund: Der frisch eingereiste Arzt sprach schon zu gut Deutsch. „Die Mittelstufe wird nicht finanziert, und für einen Anfängerkurs war er einfach schon zu weit fortgeschritten“, sagt Germann.

So wie dem Mediziner geht es vielen. „Die Leute kommen mit der Bescheinigung vom Ausländeramt und freuen sich. Und ich muss ihnen dann sagen, dass sie im Sinne des Zuwanderungsgesetzes schon gut genug sind“, berichtet die Fachbereichsleiterin. Für den 600 Stunden umfassenden Integrationskurs kennen sie sich zu gut aus mit den Relativsätzen, der Wortschatz ist schon zu groß, das Einkaufen beim Bäcker klappt auch schon prima. Weitergehende Deutschkenntnisse werden vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht gefördert.

Was den enttäuschten Lernwilligen bei der Volkshochschule im Wege steht, nützt ihnen bei der Bewerbung meist nur wenig. Für den Arbeitsmarkt reichen die Deutschkenntnisse des Arztes nicht aus. Der Wissensstand des „B1-Niveaus des Europäischen Referenzrahmens“, den die Teilnehmer nach dem Integrationskurs erreicht haben sollen, entspricht selten dem von Personalchefs erwünschten Level.

Shima, 25 Jahre alt, ist Architektin und hat schon ein Jahr Deutschkurs an der VHS hinter sich. Nun sitzt sie im Integrationskurs von Bert Brune und sagt, dass sie nach eigener Einschätzung noch ein bis zwei Jahre braucht, um gut genug für eine Arbeitsstelle zu sein. Der Integrationskurs, den sie nach dem seit Januar geltenden Zuwanderungsgesetz kostenfrei besuchen darf, dauert allerdings nur rund ein halbes Jahr. Bislang fühlt sich die Iranerin in der verwirrenden Welt der deutschen Artikel und Adjektive noch so unsicher, dass sie sogar in ihrem privaten Umfeld sehr selten den Mund aufmacht: „Ich spreche noch nicht so gerne mit anderen auf Deutsch. Dazu bin ich noch zu schüchtern“, sagt sie lächelnd.

Wohler als vor dem Kurs fühlen sich die Deutschlernenden heute trotzdem. Auch wenn es mit der wechselseitigen Kommunikation noch hapert, hat Frank aus Ghana schon viel mehr Ansprache als zu Beginn seiner Zeit in Deutschland. „Ich kann fernsehen, verstehe das deutsche Radioprogramm“, sagt der 27-Jährige. Nach dem Kurs, wenn er Frieden geschlossen hat mit den „komplizierten Nebensätzen“, möchte er an der Universität an seinen Bachelor-Abschluss anknüpfen und weiter Mathematik studieren.

Bevor Jelal den Integrationskurs an der VHS begonnen hat, arbeitete er in einem chinesischen Restaurant. Den Kurs sieht er als Chance, um später in einem Beruf zu arbeiten, der seinem Bildungsniveau als Absolvent der Sportuniversität entspricht. Heute hat er gelernt, einen Lebenslauf zu verfassen. „Lebensliste“ sagt Jelal und lacht dann über seine Wortneuschöpfung. Über das Gesicht von Claudiusz aus Polen huscht ein hoffnungsvolles Lächeln. In dieser Stunde sei ihm klar geworden, warum er für seine Bewerbungen als Zerspannungsmechaniker nur Absagen kassiert hat: „Das lag an den vielen Fehlern, die ich schriftlich mache.“

Der Dozent Bert Brune ahnt, dass keiner seiner „hochmotivierten“ Schützlinge nach 600 Stunden die deutsche Sprache so gut beherrschen wird, um einen hochqualifizierten Job zu finden. „Um diese Sprache perfekt zu können, muss man viele Jahre unterrichtet werden.“ Wollten die 15 Kursteilnehmer nach der Grundstufe auf Mittelstufenniveau weiter lernen, müssten sie die Kosten für einen Kurs selbst tragen. Bei täglichem Unterricht und Selbststudium fehlt allerdings die Zeit, um einer Arbeit nachzugehen, durch deren Entlohnung man die 400 Euro Kursgebühr aufbringen könnte. „Das wird kaum gehen“, sagt Shima.

Brunes Kursteilnehmer werden trotzdem weiter büffeln müssen, wollen sie eine Stelle in ihrem erlernten Beruf ergattern. 600 Stunden werden selbst ihnen, die zu den „Schnelllernern“ zählen, nicht ausreichen. Von den Analphabeten, die nach Auskunft Germanns zu einer überwiegenden Zahl aus Ostanatolien stammen und zunächst den Kurs „Lesen und Schreiben“ belegen müssen, will die Fachbereichsleiterin gar nicht sprechen. „Die werden das angestrebte B1-Niveau in 600 Stunden keinesfalls erreichen.“