Zurück zur stillen Abmachung

Die Initiative „MediNetz Bonn“ protestiert mit einer Unterschriftenaktion gegen das rigorose Vorgehen der Bonner Staatsanwaltschaft gegen Menschen ohne Papiere

BONN taz ■ Mit einer Unterschriftenaktion wehrt sich die Initiative „MediNetz Bonn“ gegen die rigorose Gangart, mit der Polizei und Staatsanwaltschaft der Bundesstadt neuerdings gegen die so genannten Menschen ohne Papiere vorgehen.

Auf Druck der Staatsanwaltschaft hatte die Stadt vor kurzem die Träger von Kindergärten aufgefordert, sich bei der Anmeldung von Kindern Pässe und Meldebestätigungen vorzeigen zu lassen und Kenntnisse über illegalen Aufenthalt an die Ausländerbehörde weiter zu leiten (taz berichtete). Außerdem hatte die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen Mitarbeiter des Jugendamts eingeleitet mit der Begründung, diese hätten „Illegale“ gedeckt.

Als „Aufforderung zur Denunziation“ geißelt Sigrid Becker-Wirth von „MediNetz“, der „Medizinischen Vermittlungsstelle für Flüchtlinge, MigrantInnen und Menschen ohne Papiere“, diesen Aufruf. Ihre Initiative fordert die Stadt dazu auf, die Träger von Schulen und Kindergärten zu informieren, dass sie nicht verpflichtet sind, Nachweise zum aufenthaltsrechtlichen Status der Kinder zu verlangen.

Zusätzlich regt sie die Einrichtung eines Fonds an, aus dem die medizinische Versorgung nicht versicherter Kinder gewährleistet werden kann. Außerdem appellieren die Vertreter von „MediNetz“ an die Stadt, dass die Verordnung, nach der das Nicht-Melden strafbar ist, wegfallen soll.

In 12 Tagen haben sich bislang 300 Menschen dem Protest angeschlossen. Der Aufruf soll später als Bürgerantrag bei der Stadt eingereicht werden, kündigt Becker-Wirth an. Sie hält den neuen Ehrgeiz der Staatsanwaltschaft für einen Skandal: „Hier werden die Schwächsten getroffen und die Probleme auf deren Rücken ausgetragen.“ Eckart Wüster, Superintendent des evangelischen Kirchenkreises Bonn, nennt das Vorgehen „infam“.

Die Initiatoren des Protestes wissen von Fällen, in denen Kinder regelrecht weggesperrt werden, da die Betroffenen Angst haben, dass ihr „illegaler“ Status auffliegt. Dass derartige Zustände mit dem grundsätzlichen Recht von Kindern auf Bildung und Gesundheit kollidieren, liegt für die „MediNetz“-Vertreter auf der Hand.

Tatsächlich gibt es durchaus unterschiedliche Ansichten über die gesetzliche Verpflichtung zur „Denunziation“. Während man sich bei der Stadt jetzt auf das Aufenthaltsgesetz beruft und in der bisher lax gehandhabten Umsetzung dieser Vorschriften nun einen Strafbestand sieht, verweisen die Kritiker unter anderem auf die Schulpflicht oder die UN-Kinderrechtskonvention. „Es ist noch nicht einmal ziviler Ungehorsam, wenn wir diese Fälle nicht melden“, ist Wüster überzeugt.

„Mir ist bislang kein vergleichbares Vorgehen bekannt“, rätselt nicht nur der sozialdemokratische Stadtverordnete Bernhard von Grünberg über die neue Linie von Stadt und Staatsanwaltschaft. Bislang wurden vergleichbare Fälle in Bonn eher liberal gehandhabt. Es gebe, wie Wolfgang Miehle von der Deutschen Bischofskonferenz sagt, vielerorts ein „gentlemen‘s agreement“, eine inoffizielle Abmachung, nach der man Kenntnissen von illegalem Aufenthalt nicht nachgeht.

Gleichzeitig ändert diese stille Übereinkunft nichts am Problem, das die Initiatoren des Aufrufs nun unisono benennen: die „weltweit ungerechte Verteilung. Wir leben auf Kosten dieser Menschen. Und die kommen nicht aus Jux und Dollerei hierher“, sagt PfarrerMiehle.

Nach Schätzung von Menschenrechtsorganisationen leben mehr als 3.000 Menschen ohne Papiere im Bonner Raum.

MARTIN OCHMANN